Berlin. . Die Entscheidung, welcher Patient ein Spenderorgan erhält, folgt im Normalfall festen Kriterien. Dabei stehen Erfolgsaussichten und Dringlichkeit im Vordergrund. Aber nicht immer zählt das, wie ein Blick in die Praxis der Organspende zeigt.
Immer mehr Spenderorgane werden in Deutschland an der offiziellen Warteliste vorbei vergeben. Dabei könnte auch Manipulation im Spiel sein.
Welche Institutionen sind an der Organspende beteiligt?
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) übernimmt die Organisation der Organspende. Die Vergabe erfolgt über Eurotransplant. Die Stiftung vermittelt die Organe in sieben Ländern: Belgien, Deutschland, Holland, Kroatien, Luxemburg, Österreich und Slowenien. In einem Transplantationszentrum werden die Organe dann verpflanzt. Davon gibt es rund 50 in Deutschland.
Wie erfolgt die Organvermittlung an Patienten?
Die Organe werden in der Regel nach einem festgelegten Kriterienkatalog an Patienten auf der Warteliste vergeben. Bei der Vermittlung stehen Erfolgsaussicht und Dringlichkeit im Vordergrund. Dazu wird aus Laborwerten der sogenannte MELD-Score errechnet. Er gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass der Patient ohne ein neues Organ in den kommenden drei Monaten sterben wird.
Wann kann es ein beschleunigtes Vermittlungsverfahren geben?
Wenn ein Spenderorgan zur Verfügung steht, meldet dies Eurotransplant den Kliniken. Es gibt aber „schwer vermittelbare Organe“, etwa weil der Spender krank oder relativ alt war. Lehnen drei Kliniken (bei Nieren fünf) das Organ ab, kommt es am Ende zum beschleunigten Vermittlungsverfahren. Die Klinik kann dann das Organ selbst zuteilen. Weiter darf Eurotransplant auf das Schnellverfahren umsteigen, wenn der Kreislauf des Spenders instabil wird.
Warum braucht man überhaupt ein beschleunigtes Verfahren?
Die Organe müssen rasch verpflanzt werden. Mit dem Verfahren will man vermeiden, dass sie unbrauchbar werden, nur weil auf die Schnelle kein anderes Zentrum Bedarf anmeldet.
Warum hat die Zahl der beschleunigten Verfahren zugenommen?
Die Regierung begründet dies mit der zunehmenden Zahl älterer Spender. Zudem gibt es eine neue Richtlinie von der Bundesärztekammer: Seit 2005 gilt für die Bauchspeicheldrüse automatisch das beschleunigte Verfahren, wenn der Spender älter als 50 Jahre oder übergewichtig war.
Werden die Spender wirklich älter?
Ja. Dies belegt etwa die DSO-Spenderliste in NRW: An Rhein und Ruhr waren 2005 40 Spender älter als 65 Jahre und 2011 bereits 66 Personen. Bei den 55- bis 64-Jährigen ist die Zahl von 36 auf 50 Personen angestiegen.
An Rhein und Ruhr wird inzwischen jede zweite Leber im beschleunigten Verfahren vermittelt. Warum?
„In NRW gibt es mehrere Zentren, die über besondere Erfahrungen mit der Transplantation dieser Organe verfügen“, sagte der Medizinische Direktor von Eurotransplant, Axel Rehmel, gegenüber der WAZ-Mediengruppe. Hier gebe es sehr umfangreiche Wartelisten, „so dass sich unter den wartenden Patienten häufig ein Patient befindet, bei dem auch ein schwer vermittelbares Organ erfolgreich transplantiert werden kann.“
Wie es bei der Organspende zu Manipulationen kommen kann
Kann es Manipulationen beim Schnellverfahren geben?
Das befürchtet der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz-Stiftung, Eugen Brysch. Er spricht von einer „Einflugschneise für Manipulation“. Denkbar ist, dass ein Arzt ein Spenderorgan „kränker“ macht, als es tatsächlich ist, damit es keine andere Klinik will. Dann könnte er das zum Schnellverfahren freigegebene Organ einem ausgewählten Patienten im eigenen Transplantationszentrum geben.
Welche Hinweise auf Lücken im System gibt es?
Eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums von 2009 bestätigt die „Manipulationsanfälligkeit“ bei der Schnellvermittlung von Lunge und Herz. Die Zuordnung der Organe sei jederzeit komplett nachvollziehbar, sagt zwar der Präsident von Eurotransplant, Bruno Meiser. „Werden die Daten aber gefälscht übermittelt, ist auch Eurotransplant hilflos.“ Er meint aber, dass ein Mensch allein nicht hier schummeln kann und ein Betrug an Laborwerten irgendjemandem auffallen müsste.
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"Sofern wir Hinweise erhalten, dass die sogenannten beschleunigten Verfahren auffällig häufig zum Einsatz kommen, werden wir die rechtlichen Möglichkeiten der Krankenhausaufsicht und des Berufsrechts gemeinsam mit den Ärztekammern nutzen", sagte NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) im gespräch mit der WAZ-Mediengruppe. Das Ministerium habe heute die Zentren angeschrieben und um Darstellung der Entwicklung zwischen 2002 und 2011 gebeten. "Wir rechnen mit einer Reaktion der Transplantationszentren bis Ende August", sagte Steffens weiter.
Wie teuer ist eine Organverpflanzung?
Die Lebertransplantation kostet laut Barmer-GEK bis zu 103.000 Euro, bei Niere und Pankreas sind knapp 36.000 Euro fällig. Lunge und Herz schlagen mit bis zu 106.000 beziehungsweise knapp 124.000 Euro zu Buche. Die Nierentransplantation ist da mit bis zu etwa 25.000 Euro vergleichsweise günstig. Hinzukommen je gut 9000 Euro für die Entnahme, die Organisation und den Transport.
Was fordert nun die Politik?
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Der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, fordert nun einen „Katalog vertrauensbildender Maßnahmen“ mit drei Punkten. „Erstens müssen wir die Vergabe von Spenderorganen unter staatliche Aufsicht stellen“, sagte Riexinger. Er sei dafür, dass die Gesundheitsämter hier mehr Personal und Kompetenzen bekämen. „Zweitens muss regelmäßig ein Organspendereport veröffentlicht werden, damit sicher gestellt wird, dass der Erhalt eines Spenderorgans nicht vom Geldbeutel abhängt“, sagte Riexinger weiter. Drittens brauche man härtere Kontrollen für die Organspende und schärfere Strafen bei Missbrauch. (mit dapd)