Berlin. . Neue Unruhe bei den Liberalen: Schleswig-Holsteins Landeschef Wolfgang Kubicki spekuliert offen über die Ablösung des Parteichefs Philipp Rösler und eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen.

Es sollte endlich mal ein Erfolgserlebnis für den glücklosen Philipp Rösler werden: In Vertretung der urlaubenden Kanzlerin durfte der Vize-Kanzler gestern die Kabinettssitzung leiten. Doch aus dem Triumph wurde wieder nichts. Aus Kiel meldete sich FDP-Quertreiber Wolfgang Kubicki mit einer Frontalattacke gegen den Parteichef zu Wort.

Im „Stern“-Interview spekuliert der 60-Jährige darüber, was Liberale sonst nur intern erörtern – was geschieht, wenn die FDP bei der niedersächsischen Landtagswahl im Januar aus dem Parlament fliegt. Die Umfragen lägen bei drei, vier Prozent, gelänge der Sprung nicht, werde es bei der Bundestagswahl sehr schwer, „dann muss etwas passieren“, sagt Kubicki. Die FDP brauche dann neben einem neuen Parteichef eine neue politische Ausrichtung.

Lindner soll es machen

Kubicki empfiehlt NRW-Landeschef Christian Lindner als „geborenen neuen Bundesvorsitzenden“, aber auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger könne ein Signal für eine neue Ausrichtung sein. Dazu gehört für Kubicki eine „sozialliberale Orientierung“. Er macht sich dafür stark, eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen in Betracht zu ziehen – am liebsten unter einem Kanzler Peer Steinbrück („wir haben viele gemeinsame Ideen“) und mit ihm selbst als Finanzminister.

Die FDP-Führung reagierte verärgert: „Es nützt niemandem, wenn Kubicki seinem Spieltrieb nachgibt und Personen und Parteien mal eben so auf seinem Schachbrett hin und her schiebt“, sagte Generalsekretär Patrick Döring der WAZ. Er kritisierte, dass Kubicki den FDP-Erfolg bei der Landtagswahl bezweifele, das habe in dessen Wahlkampf auch niemand getan. Niedersachsens FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner sprach von einem „Störfeuer eines politischen Pyromanen“, Parteichef Rösler wies die Ampelspekulationen zurück. Auch im Umfeld Lindners, mit dem die Attacke offenkundig nicht abgesprochen war, war das Echo negativ. Lindner habe den Bundesvorsitz für sich ausgeschlossen, eine Bundestagskandidatur auch, hieß es.

Rösler, der unbeliebteste Spitzenpolitiker Deutschlands

Doch ob die Debatte damit gestoppt werden kann, ist offen. Zwar ist Kubicki bei den Liberalen auch nach seinem 8,2-Prozent-Wahlerfolg im Mai in Kiel als „Querulant“ verrufen. Doch was Rösler angeht, spricht er nur aus, was in der Partei viele denken: Wenn die FDP in Niedersachsen scheitert, ist der Parteichef nicht zu halten.

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Schon jetzt ist Rösler der unbeliebteste Spitzenpolitiker Deutschlands. Vor allem in der Bundestagsfraktion liegen die Nerven blank, viele Abgeordnete fürchten um ihre politische Existenz bei der Wahl 2013. Dass Rösler das Blatt für sich und die FDP noch einmal wenden kann, traut ihm kaum jemand zu – vor der Landtagswahl im Januar gilt ein Führungswechsel aber als ausgeschlossen. Kubickis Vorstoß für eine Ampelkoalition trifft zudem nicht nur bei frustrierten Liberalen auf Interesse, die wissen, dass Schwarz-Gelb 2013 kaum eine Chance hat. „Mit einer SPD, die einen vernünftigen wirtschaftspolitischen Kurs fährt, wäre eine Zusammenarbeit möglich“, so Kubicki.

SPD hält sich Ampel offen

Offiziell will die SPD davon zwar nichts wissen: „Wir setzen auf Rot-Grün“, heißt die Linie. Intern aber rennt Kubicki offene Türen ein. Politiker von SPD und FDP loten seit langem bei vertraulichen Treffen Gemeinsamkeiten aus. Und da eine Mehrheit von Rot-Grün fraglich ist, fürchten SPD-Leute, die Aussicht auf eine neue Große Koalition könne wie 2009 die Wähler vergraulen: „Wir müssen uns die Option für eine Ampel offen halten“, sagt einer aus dem SPD-Führungskreis der WAZ, „nur mit Aussicht auf eine eigene Machtoption können wir mobilisieren.“

Kubicki jedenfalls wird nicht lockerlassen. Er erwägt einen Wechsel in die Bundespolitik 2013: „Reizen würde es mich, ich denke intensiv darüber nach.“