Essen. Sieben Millionen Gewehre und Pistolen lagern legal in Wohnungen, Kellern, Sportheimen, Schützenhäusern. Nicht immer sicher, wie die Amokläufe von Erfurt und Winnenden gezeigt haben. Ein Nationales Register soll lasche Kontrollmechanismen ablösen.

Robert Steinhauser erschoss 2002 in Erfurt 17 Menschen mit einer Pistole Typ Glock. Tim Kretschmer zielte mit einer Beretta und tötete 2009 in Winnenden 16 Mitschüler und Lehrer. Die Amokläufe von Erfurt und Winnenden zeigen Übereinstimmungen. Die Täter bedienten sich nicht illegal beschaffter Schusswaffen vom Schwarzmarkt der Berufsverbrecher. Sie setzten für die Mordtaten legal gekaufte Pistolen ein, die an Hobbyschützen ausgehändigt wurden. Der Staat hat dies als Alarmsignal verstanden. Die Behörden sollen schärfer kontrollieren. Zum Jahresende startet das Nationale Waffenregister.

Die Aufrüstung

40 Millionen illegale Waffen sind nach Schätzungen in Deutschland vorhanden – alleine sieben Millionen ganz legale Waffen aber lagern in Wohnungen, Kellern, Sportheimen, Schützenhäusern. Zweieinhalb Millionen Bundesbürger haben für sie eine Waffenbesitzkarte.

Schützen im Kreuzfeuer

weitere Videos

    In Europa sind nirgendwo mehr Waffen unterwegs. „Muss das sein?“, hatte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach dem Massaker von Winnenden gefragt. „Brauchen die Hobbyschützen so viele Waffen?“, fragt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in NRW, Frank Richter, heute immer noch.

    Die Macht der Lobby

    Die Interessenverbände der Sportschützen setzten 2003 durch, dass es in Deutschland bis jetzt keine Obergrenzen gibt – und dies nicht in Sicht ist. „Die Macht der Lobby hat auch wirtschaftliche Gründe. Es geht um viel Geld“, sagt Richter. Denn Deutschland ist die Nr. 3 unter den Waffenexporteuren der Welt. Hersteller machen Milliardenumsatz.

    Auch interessant

    Zudem gibt es überraschende personelle Verquickungen: Autoren des Magazins der „Zeit“ fanden heraus, dass der im Bundesverwaltungsamt lange Jahre für die Schießsport-Genehmigungen zuständige Beamte engagierter Schütze war – und heute Vorsitzender des einschlägigen Sportschützen-Bundesverbandes BDMP ist.

    Die Kontrollmisere

    Legale Waffen müssen an sicheren, abgeschlossenen Orten aufbewahrt werden, schreiben die Regeln vor. Doch in Winnenden stahl der Amokläufer Tim Kretschmer die Beretta 92 aus dem elterlichen Schlafzimmer, wo sie der Vater offen liegen hatte. Wer überwacht die Sicherheit? Manchmal ist es „gerade ein Polizist in einer Kreispolizeibehörde“, der die Zeit für Hausbesuche hat, sagt ein Experte. Ersatzweise nehmen die Behörden schriftliche Erklärungen der Waffeninhaber entgegen, dass alles in Ordnung ist.

    2010 hat Gelsenkirchen 150 Überprüfungen bei 3160 Sportschützen mit 12 200 Waffen gemeldet. In Dortmund kommt die Polizei nur bei „Unstimmigkeiten“. Im Ennepe-Ruhr-Kreis gab es bei 4500 Waffenbesitzern 800 schriftliche und 20 persönliche Kontrollen. „Kontrollen finden faktisch nicht statt“, sagt Polizeigewerkschaftler Richter. So ist der Zustand heute.

    Der Kurswechsel

    Es kommt zu einem Kurswechsel. „Er bietet eine Chance“, sagt Richter. Denn auf EU- Ebene werden Nationale Waffenregister bis 2014 eingeführt. Die Länderinnenminister haben sich für eine vorzeitige Lösung noch 2012 entschieden. Vorarbeiten leisten die Polizeibehörden vor Ort. In NRW ersetzt das Landesamt für Polizeiliche Dienste drei bisher parallel betriebene Systeme durch die Datei „CitKoWaffe“. In Duisburg, Essen und Hagen wird sie gerade getestet und im Herbst überall eingerichtet.

    Waffenabgabe Dortmund

    weitere Videos

      Alle Inhaber, die Waffen, ihre Geschichte und die Umstände der Lagerung werden dort registriert sein. Jeder Besitzer muss ein Foto seines Waffenschranks zur Verfügung stellen. Das geht per E-Mail – oder ein Beamter kommt vorbei. Gab es bisher mal Einträge wie „Scheintotpistole“ und „Hasenflinte“, wie Duisburgs Polizeisachbearbeiterin Bianca Wissing erzählt, gelten künftig klare Standards.

      Was besser wird

      Hauptkommissar Alexander Frost ist der Projektleiter. Er erklärt, was das bringt: Jeder Waffenbesitzer werde künftig regelmäßig und automatisiert auf seine Zuverlässigkeit geprüft. „Es soll minutiös nachvollziehbar sein, wer wann wo eine Waffe gekauft hat und welchen Weg diese Waffe genommen hat“, sagt Frost. Und für die Polizeibeamten ist „CitKoWaffe“ auch Eigensicherung. Vor einer Hausdurchsuchung können sie in Zukunft prüfen, welche Waffen mit welchem Kaliber am Ziel lagern könnten. Personen, die ein Waffenbesitzverbot haben, sind durch ein Stopp-Signal gekennzeichnet.