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Nach dem Amoklauf in Lörrach bricht eine alte Debatte wieder los: Waffen wegschließen, Waffen verbieten, Gesetze verschärfen! Doch Experten sagen: Die deutschen Gesetze reichen aus, man müsste sie nur anwenden.

Anfang des Monats lud der Deutsche Schützen Bund (DSB) zur Deutschen Meisterschaft. 6000 Sportschützen reisten an, im Gepäck Waffen und Munition für 10 000 Starts: die größte Breitensportveranstaltung im Land nach dem Deutschen Turnfest. Passiert ist dort nichts. Drei Wochen später läuft in Lörrach eine Frau Amok: Sie brandschatzt, schlägt, erstickt, ersticht – und schießt. Mit einer Sportwaffe, obwohl sie ihren Schützenverein schon 14 Jahre zuvor verlassen hat. Und sofort bricht eine alte Debatte wieder los: Waffen wegschließen, Waffen verbieten, Gesetze verschärfen!

Ein Reflex, von Bürgern, die sich bedroht fühlen, und von Politikern, die deshalb handeln wollen: „Aktionismus“, urteilt Rainer Wendt. „Solche Reflexe“, sagt der Vorsitzende der Deutschen Polizei-Gewerkschaft (DPolG), „brauchen wir nicht.“ Denn die Schwachstelle, das wissen Polizisten wie Schützen-Lobbyisten, bleibt der Mensch. „Wenn jeder die Gesetze befolgte, würde nichts passieren“, sagt DSB-Sprecher Birger Tiemann, und Wendt: „Mit Gesetzen lässt sich die Lebenswirklichkeit nicht ändern.“

Altersgrenzen angehoben

Zumal Deutschland sie nach den Amokläufen des letzten Jahrzehnts bereits dreimal geändert hat. Nach Erfurt wurden die Regeln zur Aufbewahrung verschärft, Altersgrenzen angehoben, Waffenbesitzer unter 25 Jahren müssen psychologische Gutachten vorlegen. Seit Winnenden gilt unter anderem, dass jeder Schütze sein „Bedürfnis“ regelmäßig nachweisen muss: dass er also eine Waffe zu bestimmten Zwecken, etwa Wettkämpfen, tatsächlich nutzt. Schon vor diesen Novellen galt Deutschlands Waffenrecht als eines der strengsten der Welt.

Nur: Anwenden muss man es. „Was wir brauchen, sind Kontrollen“, sagt DPolG-Chef Rainer Wendt. Kontrollen von Waffenbesitzern „in Zeitabständen, die vernünftig sind“. Auch das sieht die jüngste Änderung des Waffenrechts nach Winnenden ja vor: Anlass-unabhängige Besuche in Privathaushalten. Falsche Aufbewahrung von Waffen, etwa außerhalb gesicherter Schränke oder gemeinsam mit der Munition, wird seither als Straftat geahndet, nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit. Den Behörden, sagt Konrad Freiberg von der Gewerkschaft der Polizei (GdP), fehle dafür allerdings oft das Personal. „Wenn man’s schaffen würde. . .“, seufzt ein Polizist aus dem Ruhrgebiet, in dessen Stadt nur bei konkreten Verdachtsmomenten nachgesehen wird. „Hausbesuche sind Pseudo-Sicherheit“, erklärt deshalb Klaus Jansen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter gegenüber dem WDR.

Legale Waffen nur in zwei bis drei Prozent alle Fälle

Allein Essen zählt fast 46 000 legale Waffen, zehn Millionen sollen es in ganz Deutschland sein – und noch einmal das Doppelte sind illegale, schätzen Experten. Die sind nicht nur zahlenmäßig das größere Problem: In der Antwort auf eine Kleine Anfrage rechnete die Bundesregierung 2009 vor: Legale Waffen werden im Bereich der Schusswaffen-Kriminalität in nur zwei bis drei Prozent aller Fälle benutzt.

Und so legal waren auch die Pistolen der drei Amokläufe gar nicht: Robert Steinhäuser, der Täter von Erfurt, hatte zwar eine Waffenbesitzkarte, zwei Tatwaffen dort aber nicht eintragen lassen; die Behörde hatte eine Überprüfung versäumt. Tim K., der Täter von Winnenden, nutzte Ausrüstung seines Vaters, der diese ungesichert im Schlafzimmer aufbewahrte. Und auch Sabine R. in Lörrach hätte ihre Pistole nach heute geltendem Recht nicht haben dürfen, da die 41-Jährige schon 1996 aus ihrem Schützenverein ausgetreten war. Seit der Gesetzesnovelle von 2003 müssen Abgänge gemeldet werden.

Register kommt 2012

Als Inhaberin einer regelmäßig überprüften Waffenbesitzkarte allerdings hätte sie auch an den nun erneut geforderten zentralen Sammelstellen Zugriff auf Waffen und Munition gehabt. Und auch das immer wieder thematisierte Verbot großkalibriger Waffen hätte im Fall Sabine R. nicht geholfen: Sie hatte eine Kleinkaliber-Pistole dabei, ließ drei andere, größere im Schrank. Dass sie diese aber überhaupt hatte, soll den Behörden zukünftig nicht mehr verborgen bleiben können. Ende 2012 soll auch Deutschland gemäß einer EU-Richtlinie endlich ein nationales Waffenregister haben. „Wir wissen, wie viel Bananen eingeführt werden“, klagt GdP-Chef Freiberg. „Aber nicht, wie viele Schusswaffen es gibt.“