Kairo. Gleich zweimal leistete der neue Präsident Ägyptens seinen Amtseid: Einmal vor seinen Anhängern und einmal vor dem Verfassungsgericht. Das Parlament, vor dem der Eid eigentlich abgelegt wird, war aufgelöst worden. Mursi will die Errungenschaften des Arabischen Frühlings verteidigen.
Vielleicht bedarf es nach drei Jahrzehnten Mubarak-Herrschaft und angesichts einer mächtigen Militärführung einer doppelten Versicherung im ägyptischen Präsidentenamt: Der neue Staatschef Mohammed Mursi jedenfalls legte seinen Amtseid gleich zweimal ab. Am Samstag ordnungsgemäß vor dem Verfassungsgericht und tags zuvor als symbolischer Akt vor zehntausenden Anhängern auf dem Revolutionsplatz Tahrir. Wohler dürfte sich der Islamist beim Bad in der jubelnden Menge gefühlt haben als vor den Vertretern eines Staatsapparates, der ihn und seine Anhänger mit Argwohn sieht.
Argwohn sprach auch aus Mursis Worten, als er auf dem Tahrir-Platz seinen Anhängern zurief: Für "nichts und niemanden" gebe es Platz über dem Willen des Volkes. "Ich habe vor nichts Angst, außer vor Gott." Der Militärrat, der seit dem Sturz von Machthaber Husni Mubarak in Ägypten die Zügel fest im Griff hält, hatte aus Sicht seiner Gegner den Willen des Volkes bislang jedoch ausgehebelt.
Mursi war kein Favorit bei der Wahl
Zugleich schufen die Generäle um sich herum ein institutionelles Machtvakuum. Mursi, der bis zu seiner Wahl Mitglied der Muslimbrüder war, konnte den Amtseid nicht vor dem Parlament ablegen, denn die von den Muslimbrüdern dominierte Volksvertretung war zuvor vom Obersten Militärrat aufgelöst worden. Sein symbolischer Schwur vor dem Volk hat auch darin seine Gründe.
Eigentlich war der 60-jährige Mursi nur Ersatzkandidat. Die Muslimbrüder stellten ihren Parteichef für die Präsidentschaftswahl erst auf, als sich abzeichnete, dass der bekanntere Parteivize Chairat al-Schater wegen einer Gefängnisstrafe in der Mubarak-Ära von der Kandidatenliste gestrichen werden würde. Auf den eilig gedruckten Wahlplakaten sah der Ingenieur, der in Kairo studierte und an der Universität von South Carolina in den USA seinen Doktor machte, eher schüchtern aus. Auch bei seinen ersten Auftritten wirkte der Kandidat der wichtigsten politischen Kraft im Land eher defensiv als bissig.
Als Favorit wurde Mursi vor der ersten Wahlrunde Ende Mai daher nicht gehandelt. Sein mangelndes Charisma schadete ihm aber offensichtlich nicht. Seit dem Wahlkampf wirkt der verheiratete Vater von fünf Kindern zunehmend selbstsicher. Er profitierte dabei auch von der großen Popularität der Muslimbrüder, aus deren Reihen er nach seinem Wahlsieg austrat - mit der Begründung, er wolle Präsident "aller Ägypter" sein.
Mursi will Errungenschaften des Arabischen Frühlings verteidigen
Um seine Gegner nicht gegen sich aufzubringen, achtete der in der Provinz Scharkia im Nil-Delta geboren Mursi darauf, jeden Anschein von Radikalität zu vermeiden. Er betonte, die Errungenschaften des Arabischen Frühlings verteidigen zu wollen. So will er etwa Frauen nicht zum Tragen von Kopftüchern oder Schleiern verpflichten und die Rechte der christlichen Minderheit schützen.
International will Mursi laut seinen Ankündigungen aus dem Wahlkampf die Beziehungen zu den USA "ausgeglichener" gestalten und in Verhandlungen mehr auf ägyptische Positionen pochen. Die internationalen Vereinbarungen werde Ägypten einhalten, sagte er nach seinem Wahlsieg. Eine der wichtigsten Vereinbarungen, die Ägypten geschlossen hat, ist der Friedensvertrag mit Israel von 1979.
Mursi ist der erste frei gewählte Präsident Ägyptens. Bei der ersten Präsidentschaftswahl in Ägypten seit dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 setzte er sich gegen seinen Rivalen Ahmed Schafik durch, den letzten Regierungschef Mubaraks. Als "Geburt der zweiten Republik", bezeichnete daher ein Verfassungsrichter Mursis Amtsantritt am Samstag bei der Vereidigungszeremonie. Wieviel Macht Mursi, der im Jahr 2000 erstmals ins Parlament gewählt wurde, tatsächlich haben wird, bleibt angesichts der mächtigen Militärs indes ungewiss. (afp)