Berlin. . CDU-Politiker Wolfgang Bosbach will am Freitag gegen den neuen Euro-Rettungsschirm stimmen. Er sagt: Es entstünden nur weitere Risiken, die eigentlichen Probleme aber blieben ungelöst. Im Gespräch erklärt der prominente Abweichler seine Sicht der Dinge.

Der Bundestag entscheidet über den dauerhaften Rettungsschirm ESM und über den Fiskalpakt. Sparauflagen, wie etwa einer Schuldenbremse, stimmt Wolfgang Bosbach (CDU) noch zu. Aber den ESM-Vertrag will der Vorsitzende des Innenausschusses ablehnen.

Herr Bosbach, warum sagen Sie Nein zum Rettungsschirm?

Wolfgang Bosbach: Weil wir erneut enorme Haftungsrisiken übernehmen, diesmal in Höhe von mindestens weiteren 190 Milliarden Euro, ohne dass der ESM die eigentlichen Probleme löst. Dies vor allem deshalb, weil wir durch ihn das Prinzip aufgeben, dass jeder Staat für die Folgen seiner eigenen finanzpolitischen Entscheidungen einstehen muss.

Es fing harmlos an: Mit einem Rettungsschirm für Griechenland, von dem es hieß, er sei vorübergehend und werde nie gebraucht. Sind wir auf einer schiefen Ebene?

Wolfgang Bosbach: Ich habe sowohl dem ersten Hilfspaket für Griechenland, als auch dem EFSF-Hilfsfonds zugestimmt. Damals habe ich der Einschätzung der Regierung vertraut, dass wir den Problemstaaten nur zeitlich begrenzt Hilfen gewähren, damit diese Staaten Strukturreformen vornehmen können, die sie in die Lage versetzen, sich wieder selbst zu finanzieren.

Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt.

Wolfgang Bosbach: Das ist leider richtig. Zwar haben wir uns etwas Zeit erkauft, aber diese Frist wurde für echte Reformen nur halbherzig genutzt. Tatsächlich ist die Lage in einigen Ländern noch schwieriger geworden, heute sind mehr Staaten auf Hilfen angewiesen als zuvor.

Sehen Sie eine Lösung?

Wolfgang Bosbach: Wir brauchen dringend ein Regelwerk für Staaten, die sich mangels Wirtschaftskraft auf Dauer nicht aus eigener Kraft finanzieren können und hoffnungslos überschuldet sind. Wir können doch nicht für alle Zeiten ausschließen, dass es tatsächlich mal eine Staatsinsolvenz geben kann. Für diesen Fall müssen wir gewappnet sein. Vor allen Dingen müssen wir verhindern, dass aus der Währungsunion eine Transferunion wird. Die EU war stets als Transferunion angelegt und wir sind seit Jahrzehnten der mit Abstand größte Nettozahler. Jetzt darf nicht der Euroraum zu einer weiteren Transferunion werden.

Im Klartext: Sie wollen also den Ausschluss aus dem Euro-Raum regeln.

Wolfgang Bosbach: Das Euro-Regelwerk kennt weder Austritt noch Ausschluss. Aber wenn ein Land bei hoffnungsloser Verschuldung erkennt, dass man es unter den Bedingungen des Euro auf Dauer nicht schaffen kann, dann muss es klare Regeln für einen Umschuldungsmechanismus geben. Wir regeln die Privat- und die Unternehmensinsolvenz bis ins Detail – nur der dramatischste Fall, die Staatsinsolvenz im Euroraum, bleibt ungeregelt.

Und das andere Extrem kommt für Sie nicht in Frage, nämlich dass die Europäer für die Schulden einstehen?

Wolfgang Bosbach: Mit dem ESM wird aus der Währungsunion zunächst eine Haftungsunion, das werden selbst die Befürworter nicht bestreiten. Und ich fürchte, dass aus dieser Haftungsunion bald auch eine Transferunion werden könnte. Eine Vergemeinschaftung von Schulden kann nie und nimmer im Interesse von Deutschland sein, denn sie wäre ein Nachteil für alle Staaten, die wie wir Haushaltsdisziplin üben und sich deshalb zu günstigen Konditionen finanzieren können.

Das Verfassungsgericht macht klar, dass der Spielraum für eine Vertiefung der EU ausgereizt ist. Wird mit dem ESM die Grenze überschritten?

Wolfgang Bosbach: Mit ESM und Fiskalpakt ist die Grenze dessen erreicht, was unsere Verfassung an Kompetenzverlagerung vom Bund nach Brüssel erlaubt. Nichts spricht auf EU-Ebene gegen mehr Harmonisierung, wie etwa bei der Bankenaufsicht. Aber die Verlagerung von weiteren, zentralen politischen Kompetenzen, wie zum Beispiel dem Haushaltsrecht, dürfte unser Grundgesetz nicht zulassen.

Müsste die Politik eine neue, europataugliche Verfassung entwerfen und dem Volk zur Abstimmung stellen?

Wolfgang Bosbach: Zunächst müssten wir einmal die wichtigste Frage klären: Welches Ziel streben wir an? Wollen wir die Vereinigten Staaten von Europa als Bundesstaat oder bleiben wir bei einem „Europa der Vaterländer“, also einem Staatenbund, dessen Mitglieder wichtige politische Aufgaben noch in eigener Kompetenz wahrnehmen können. Der Beantwortung der Frage kann man auf Dauer nicht ausweichen.