Kairo. . Ein Islamist wird neuer Präsident Ägyptens: Der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, hat sich in der Stichwahl knapp durchgesetzt. Das erklärte die Wahlkommission in Kairo am Sonntag. Mit dem Ergebnis aber wird sich der Machtkampf in Ägypten zwischen den Kräften des alten Regimes und der Muslimbruderschaft weiter zuspitzen.
Knapp eine Stunde lang herrschte atemlose Stille, dann verwandelte sich der Tahrir-Platz mit einem Schlag in ein brodelndes Menschenmeer. Feuerwerksraketen jaulten in den Himmel. „Mursi, Mursi, Allah ist groß“, skandierte die jubelnde Menge und „Nieder mit der Militärherrschaft“. Kurz zuvor hatte der umstrittene Chef der Obersten Wahlkommission, Farouk Sultan, nach einer gewundenen Rede endlich den Namen über die Lippen gebracht, auf den Ägypten seit Tagen gespannt wartete: „Der Gewinner der Wahl zum Präsident Ägyptens am 16. und 17. Juni ist Mohamed Mursi Eissa al-Ayat.“
Höchste Alarmbereitschaft
Mit dem 61-jährigen promovierten Ingenieur rückt zum ersten Mal in der Geschichte Ägyptens ein Mann an die Spitze des Staates, der der Muslimbruderschaft angehört. Nach dem offiziellen Endergebnis entfielen auf Mursi 13 230 131 Stimmen, rund 880 000 mehr als auf seinen Konkurrenten, den Ex-General und Ex-Premier Ahmed Schafik. Die Wahlbeteiligung lag bei 51,8 Prozent. Rund 400 Einwände und Anzeigen von Unregelmäßigkeiten habe die Hohe Kommission in den letzten sieben Tagen geprüft.
Mit dem Ergebnis aber wird sich der Machtkampf in Ägypten zwischen den Kräften des alten Regimes und der Muslimbruderschaft weiter zuspitzen. Der Oberste Militärrat, der sich erst vor einer Woche per Verfassungsdekrete mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet hatte, versetzte Polizeieinheiten und Militärverbände im ganzen Land in höchste Alarmbereitschaft.
Vernagelte Geschäfte
An den Ausfallstraßen Kairos fuhren gepanzerte Fahrzeuge auf. Die Zufahrtsstraßen zum Parlamentsviertel nahe dem Tahrir-Platz wurden abgesperrt. Das Gebäude der Obersten Wahlkommission in Heliopolis wurde durch Stacheldraht und von Militärpolizei gesichert. Im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt vernagelten Händler ihre Geschäfte, viele Menschen blieben aus Angst vor neuen Unruhen zu Hause. Andere deckten sich mit Brot und Lebensmitteln ein.
Bereits am Freitag hatte der Oberste Militärrat im Staatsfernsehen eine Erklärung verlesen lassen, man werde mit „äußerster Härte und Entschlossenheit“ gegen jeden vorgehen, der öffentliches Eigentum beschädige. Am Samstag warnte der amtierende Ministerpräsident Kamal al-Ganzouri, Ägypten werde bei einem Konflikt der größte Verlierer sein. Die Wirtschaftslage werde sich weiter verschlechtern, ebenso die Kreditwürdigkeit des Staates.
Muslimbruderschaft feiert
Als „dreiste Lügen und verbalen Terrorismus“ bezeichnete Ganzouri Meldungen, seine Familie habe sich bereits im Ausland in Sicherheit gebracht und viele Geschäftsleute würden Ägypten in diesen Tagen verlassen. Ägyptische Medien hatten zuvor berichtet, der langjährige Geheimdienstchef Omar Suleiman habe sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt und seine Familie würde in Kürze folgen.
Die Führung der Muslimbruderschaft feierte den Sieg am Abend auf dem Tahrir-Platz, den Zehntausende Anhänger seit sechs Tagen besetzt hatten. „Das Militär hat uns die Revolution gestohlen und uns betrogen“, schimpfte ein junger Lehrer, der aus dem Sinai angereist ist. „Wir werden nicht weichen, bis das Militär die Macht abgegeben hat“, sagen andere, die eine große Zeltstadt auf dem Platz errichtet haben.
Über das Wochenende hatten die Islamisten erstmals das Gespräch mit anderen politischen Gruppen gesucht und ihnen angeboten, sie im Falle eines Wahlsieges von Mohamed Mursi in eine Regierung der nationalen Einheit einzubinden.
Israel respektiert den Wahlausgang
Nach dem Sieg des islamistischen Politikers Mohammed Mursi bei der ägyptischen Präsidentschaftswahl hat Israel den Willen zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit beider Länder betont. Israel schätze den "demokratischen Prozess" in Ägypten und respektiere den Wahlausgang, hieß es in einer Erklärung des Büros von Regierungschef Benjamin Netanjahu am Sonntag. "Israel beabsichtigt, seine Zusammenarbeit mit der ägyptischen Regierung auf der Grundlage des Friedensvertrags (von 1979) fortzusetzen."
Die USA gratulierten Mursi zu seinem Wahlerfolg. Die neue ägyptische Regierung müsse ihre Rolle als "Eckpfeiler des regionalen Friedens" erfüllen, hieß es in einer Erklärung des Weißen Hauses. Eine wichtige Aufgabe Mursis sei es, "in dieser historischen Zeit Schritte zu unternehmen, um die nationale Einheit voranzubringen" und in einem nationalen Dialog eine neue Regierung zu bilden. (mit afp)