Bad Driburg/Brakel. . Im Kreis Höxter werfen zwei Gemeinden alle Ideologien über den Haufen und ersetzen das dreigliedrige Schulsystem durch eine Schule für alle. Der Grund: Pure Notwendigkeit. Denn die örtlichen katholischen Privatschulen ziehen den Großteil der Gymnasiasten ab.

Wie werden Kinder besser gefördert – in der Gesamtschule oder mit dem klassischen Schulsystem aus Haupt-, Realschule und Gymnasium? Jahrzehntelang stritten darüber in NRW Politik, Experten und nicht zuletzt die Familien. Erst in der letzten Legislaturperiode konnte mit einer weiteren Schulform – der Sekundarschule – der Krieg ums Schulsystem befriedet werden. Nun haben sich im Kreis Höxter zwei benachbarte Gemeinden dazu durchgerungen, sich vom dreigliedrigen Schulsystem zu verabschieden. Brakel und Bad Driburg setzten auf die Gesamtschule. Staatliche Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien wird es künftig dort nicht mehr geben. Wer auf das Gymnasium will, dem bleiben katholische Privatschulen.

Ein einmaliger Vorgang

Der Vorgang ist in Nordrhein-Westfalen bislang einmalig. Dabei haben beide Gemeinden im Rat ausgerechnet eine CDU-Mehrheit. Und die Christdemokraten verteidigten bislang vehement das dreigliedrige Schulsystem und bezeichneten Gesamtschulen gerne abwertend als „Einheitsschule“. Doch nun gehen den städtischen Gymnasien in Brakel und Bad Driburg die Schüler aus, ihre Existenz ist gefährdet. Dabei brauchen die Gemeinden mit 17 700 und 19 000 Einwohnern Schulen, in denen das Abitur abgelegt werden kann, wenn sie nicht Einwohner verlieren wollen.

Obendrein haben beide Gemeinden starke katholische Privatschulen. In Bad Driburg gibt es zwei Privat-Gymnasien, in Brakel ein großes, seit 2011 mit Realschulzweig. Genehmigt von der Bezirksregierung, inklusive der Ausweitung auf vier Züge mit 33 Kindern je Klasse.

Das staatliche Gymnasium hatte deshalb nur noch 33 Anmeldungen. Schulleiter Thomas Freye fürchtet nun um seine Schule. Weil jetzt viele vor der Oberstufe in die Privatschule wechseln. Freye: „Und die nehmen alle. Von wegen Quote.“ Während staatlichen Schulen die Ausweitung verboten wird, wenn dadurch eine andere Schule gefährdet würde, habe man „bei Privatschulen keine Handhabe“, so die Erklärung der Bezirksregierung.

„Die Gymnasien haben sich gegenseitig kannibalisiert“

Die Idee, die weiterführenden Schulen in eine Gesamtschule zu überführen, stammt vom Dortmunder Schulentwicklungsforscher Ernst Rösner. Er erstellte im Auftrag der Städte im Kreis Höxter Schülerprognosen. Demnach könnten sich ab 2017 drei weiterführende öffentliche Schulen vor Ort nicht halten. „Im Kreis Höxter haben sich die Gymnasien gegenseitig kannibalisiert. Und die Privatschulen haben daran einen sehr großen Anteil,“ erklärt Rösner.

Das staatliche Gymnasium in Bad Driburg kämpft gegen die Gesamtschule. Man glaubt nicht an das Zustandekommen einer Oberstufe dort. Wer in der vierten Klasse eine Empfehlung für das Gymnasium bekomme, werde auch auf ein Gymnasium gehen, zur Not als Fahrschüler nach Paderborn. Davon ist nicht nur die Gymnasial-Rektorin überzeugt, sondern auch ein Teil der Grundschuleltern. So fordert Grundschul-Pflegschaftsvorsitzende Rahel Blum ein staatliches Gymnasium vor Ort. „Für viele ist das katholische Gymnasium aus Überzeugung keine Option.“

Der Rat ist sich einig

Realschulleiterin Monika Mundanjohl hingegen freut sich – im Gegensatz zu ihrem Brakeler Kollegen – trotz stabiler Anmeldezahlen auf die Gesamtschule. „De facto unterrichten wir doch schon lange Kinder mit anderslautenden Grundschul-Empfehlungen. Wir als Realschule, aber auch das Gymnasium. Eine Gesamtschule kann viel gezielter fördern.“

In Brakel hat sich der Rat einstimmig für eine Gesamtschule entschieden. Dafür müssen sich mindestens 100 Kinder anmelden. Über 70 Prozent der Grundschul­eltern, die an einer Vorabbefragung teilnahmen, wollen dies tun, wenn es keine staatliche Alternative gibt. 187 Drittklässler, also potenzielle Gesamtschüler für 2013, gibt es in Brakel, in Bad Driburg 188.