Berlin. . Nach monatelangem Machtkampf gibt es einen Wechsel an der Spitze der Berliner SPD. Am Samstag votierte eine knappe Mehrheit auf dem Landesparteitag für den Sprecher der Partei-Linken, Jan Stöß. Er löst Amtsinhaber Michael Müller ab - ein enger Vertrauter von Berlins Regierendem Bürgermeister Wowereit.
Der Regierungschef blieb stur. 45 Sekunden spendeten die Genossen dem SPD-Linken Jan Stöß nach dessen Bewerbungsrede für den Landesvorsitz Beifall - 45 Sekunden saß Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit bewegungslos auf dem Podium. Mit verschränkten Armen und nicht gewillt, in den Jubelchor um den Herausforderer von Amtsinhaber Michael Müller einzustimmen. Geschadet hat der öffentliche Liebesentzug Stöß aber nicht.
Nach einer mehrstündigen Auseinandersetzung wählte am Samstag eine knappe Mehrheit der Delegierten den 38-Jährigen auf einem Parteitag zum neuen Landeschef - und damit zum Nachfolger von Müller. Vorausgegangen war der Abstimmung ein monatelanger Machtkampf, der die Partei vielleicht noch stark prägen könnte. Denn trotz der formal getroffenen Entscheidung ist es nicht ausgeschlossen, dass ihr eine lange Zerreißprobe droht - und das ohne Not, wie die Kritiker von Stöß bemängeln.
Aus Sicht der Müller-Befürworter ist die SPD eigentlich in einer komfortablen Situation gewesen. Zum dritten Mal in Folge stelle man seit der Abgeordnetenhauswahl 2011 die stärkste politische Kraft. Trotzdem seien die Personalstreitigkeiten "virtuos" herbeigeführt und Gräben aufgerissen worden, beklagte zum Beispiel Frank Zimmermann aus Tempelhof. Das Kuriose daran: Inhaltlich gab es kaum Unterschiede zwischen den Kontrahenten, zumindest galten die Differenzen nicht als unüberbrückbar.
Berliner SPD ist in zwei Lager gespalten
Trotzdem ist die Partei in zwei Lager gespalten. Der Riss geht dabei mitunter quer durch die Ortsverbände. Diese Spaltung ist das Ergebnis einer wochenlangen Auseinandersetzung, in der Müller und Stöß bei Veranstaltungen die Basis im Duell um das Spitzenamt jeweils für sich zu gewinnen suchten. Der Streit wurde hart geführt, mitunter begleitet von persönlichen Verletzungen.
Die Kritiker aus dem Stöß-Lager warfen Amtsinhaber Müller vor, als Senatsmitglied das sozialdemokratische Profil in der großen Koalition nicht genug geschärft und die parteiinterne Kommunikation stark vernachlässigt zu haben. Müller selbst zeigte sich beim Parteitag selbstkritisch und räumte ein, dass er beim innerparteilichen Dialog besser werden müsste. Es war aber ein Versprechen, das zu spät kam.
Die Partei vertraut jetzt einem Mann, der großen Teilen der Berliner Bevölkerung bis jetzt unbekannt ist. Der 38-jährige Verwaltungsrichter, der seit 1990 der SPD angehört, sicherte den Genossen zu, dass er für die Erneuerung der Partei stehe und die Gremienarbeit wieder stärken wolle.
Thierse warnt vor Dauerkonflikt
Doch ein Selbstläufer wird das nicht. Sein angekündigtes Programm wird er nicht dauerhaft gegen das unterlegene Lager durchsetzen können. Er wird sich erst einmal um Geschlossenheit bemühen müssen. Nicht wenige glauben, dass ihm das nicht allzu schnell gelingen dürfte.
Zwar bemühten sich alle Beteiligten am Samstag durchaus vordergründig darum, die Debatte zu versachlichen und die Wogen zu glätten. Es dürfe am Ende keine Sieger und Besiegten geben, warnten Fraktionschef Raed Saleh und Arbeitssenatorin Dilek Kolat. Doch allen Treueschwüren zum Trotz - der Machtkampf hat die Partei möglicherweise mehr aufgewühlt, als sich das viele Genossen eingestehen wollen.
Als einer der wenigen fand Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse deutliche Worte: "Ich fürchte die Institutionalisierung eines Dauerkonflikts", sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd. Das vom Stöß-Lager oftmals beschworene Argument, dass die Nominierung von mehreren Kandidaten auch als ein Ausdruck demokratischer Kultur verstanden werden könne, ließ er nicht gelten. Das sei nur sinnvoll, wenn die Kandidaten für inhaltlich unterschiedliche Positionen stünden, sagte Thierse. Aber bei Müller und Stöß sei das ja nicht der Fall.
Platzwechsel in der Führungsriege
"Es wird sicherlich dauern, bis die Luft aus dem Streit raus ist", räumte auch Bildungsstaatssekretär Mark Rackles ein, der sich für Stöß starkgemacht hatte. Im Gegensatz zu Thierse zeigte er sich aber optimistisch, dass dem neuen Parteichef die Befriedung der Partei gelingen kann.
Ein erstes Zeichen der Annäherung setzte Stöß eine halbe Stunde nach seiner Wahl. In diesem Moment nahm er auf dem Podium neben Wowereit Platz. Der Regierungschef war ein enger Verbündeter von Müller und hatte sich im Vorfeld für seinen langjährigen Weggefährten, der auch als sein Kronprinz galt, ausgesprochen. Die ersten Stunden des Parteitages hatten die beiden Vertrauten noch Seite an Seite gesessen.
Nun war Müller weg - und stattdessen plauderte Stöß ein wenig mit dem Regierungschef. Wowereit lächelte kurz, sagte ein paar Sätze. Ein Dauergespräch wurde es aber nicht. Nach wenigen Minuten stand Stöß auf und ging. Zurück blieb der Regierende Bürgermeister, der am Ende nur einen kurzen Appell an den Neuen richtete: "Ich erwarte, dass Jan Stöß die Kontinuität in der Zusammenarbeit zwischen Partei, Senat und Fraktion bewahrt."