Essen. Ob Jade-Weser-Port, Dortmunder „U“ oder der neue Berliner Flughafen: Große Bauprojekte kosten oft mehr Geld und fallen durch Fehler auf. Wir stellen die größten Pleiten vor und begeben uns auf die Suche nach den Gründen.

Der rote Frachter mit der schweren Ladung musste vor Wilhelmshaven abdrehen. Die „Zhen Hua“, die vier je 1750 Tonnen schwere Containerbrücken an Bord hatte, durfte nicht löschen. Die Versicherung hatte die neue Kaianlage nicht freigegeben. Die Spundwände, wohl falsch in den Meeresboden gerammt, bröckeln. 200 Löcher wurden festgestellt.

Die Peinlichkeit passierte am 18. Mai, und die Brücken sind inzwischen abgeliefert. Aber der Start des Jade-Weser-Ports, Deutschlands neuem Tor zur Welt, verzögert sich. Der Seehafen, ausgelegt für die größten Containerschiffe des Globus, wird nicht am 5. August in Betrieb gehen, sondern erst Ende September. Vielleicht. Am späten Dienstag zogen die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Bremen, die Bauherrn des Milliarden-Vorhabens, die Notbremse. Vor einem Monat erst ist es ihrem Kollegen Klaus Wowereit in Berlin mit dem Hauptstadtflughafen so ähnlich ergangen.

Die Euro-Gräber

Pleiten, Pech und Pannen: Der-Wirtschaftsweltmacht misslingen die Mega-Vorhaben. Die Summe für den Bahnhof Stuttgart 21? Kaum noch zu schätzen. Der Rohbau des Kongresszentrums WCCB in Bonn? Eine Sache für den Staatsanwalt. Das Landesarchiv Duisburg? Der Landtag versucht, die Mauscheleien um die Grundstücke aufzudecken. Selbst Umbauten wie beim Kulturzentrum in Dortmund geraten aus dem Gleis. Das „U“ wird 83 statt 52 Millionen Euro kosten. Mindestens.

„Bekommen wir Großprojekte überhaupt noch hin?“, fragt besorgt Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Indus­trie- und Handelskammertags (DIHK). Es gibt eine lange Liste von Superbauwerken, die wegen technischer Mängel, ausgeuferter Kosten oder schierer Unwirtschaftlichkeit in Misskredit geraten. Der gemeinsame Nenner all dieser schlechten Nachrichten: Politiker sitzen in den Aufsichtsgremien. Der Staat mischt kräftig mit.

Das Berliner Luftschloss

Wie beim Flughafen Berlin-Brandenburg-International: Erst 2010 und dann an diesem 3. Juni sollten die Jets vom Willy-Brandt-Airport abheben. Daraus ist nichts geworden. Die Kanzlerin und 14 000 weitere Gäste wurden wieder ausgeladen. Neuer Eröffnungstermin ist der 17. März 2013. Bis dahin müssen die untauglichen Brandschutzanlagen erneuert und die streikenden Gepäckbänder zum Laufen gebracht werden. Jeder Tag ohne Flugbetrieb kostet 15 Millionen Euro. Statt 2,5 Milliarden könnte der Bau unterm Strich bis zu vier Milliarden schlucken. Wie viel Schuld tragen die Politiker? Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck: „Der Aufsichtsrat ist nicht für das operative Geschäft zuständig.“

Der Wahn am Ring

350 Millionen Euro für einen gigantischen Freizeitpark am Nürburgring hat das Land Rheinland-Pfalz, befeuert vom Mainzer Regierungschef Kurt Beck, in die Eifel gepumpt. Jetzt gibt es Entlassungen beim Personal, Prozesse wegen Untreue und die Überlegung, die Gigantomanie ganz einzuebnen. Denn die Besucher bleiben aus, und die aus Steuern bezahlte „größte Achterbahn der Welt“ ist vom Start an nur Schrott gewesen. Ihr Motor ist nie angesprungen.

Der Hamburger Alptraum

Alptraum statt Elb-Traum: Mit einem riesigen Glaspalast an der Waterkant wollen die Hanseaten Sydneys Oper kopieren. 77 Millionen Euro sollte der Kasten kosten. Fehl- und Nachplanungen machten Altpapier aus der Kalkulation: Werden es 400 Millionen sein oder eine halbe Milliarde? Und wann wird die Elbphilharmonie stehen? 2015 statt 2010? Möglich.

Die Kölner Tragödie

Im März 2009 stürzte das Archiv der Domstadt zusammen. Zwei Tote grub man aus den Trümmern. Der Untergrund des alten Gebäudes hatte sich verflüssigt, weil Kunstfehler auf der tiefer liegenden U-Bahn-Baustelle passierten. Wahrscheinlich sind die Schlitzwände nicht dicht geschlossen worden, und die Stadt Köln war Bauherr und Bauaufsicht gleichzeitig. Die Kosten der neuen Strecke werden sich auf über eine Milliarde Euro verdoppeln – Schadenersatzfälle nicht einberechnet. Das Projekt war unterversichert.

Von Dieben und Agenten

Die Klimaanlage bläst Keime ins Gebäude. Die Baupläne werden geklaut. Am Ende ist die Baufirma bankrott. Kann es schräger gehen? Kaum. Wir reden über das neue Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes BND. Kanzleramtschef Roland Pofalla hat es „als das größte Bauvorhaben“ bezeichnet, „das von der Bundesrepublik jemals in Angriff genommen wurde“. Stolz ist er darauf nicht mehr: Die Kosten der künftigen Geheimdienst-Zentrale in Berlin explodieren gerade von 700 Millionen auf vielleicht 1,5 Milliarden Euro.

Wie es zu den Fehlern kommt? DIHK-Manager Wansleben sieht zu lange Planungen als Ursache. 15 bis 20 Jahre? Das gehe nicht mehr. So äußert sich auch Bent Flyvbjerg. Der dänische Professor hat weltweit 258 Fälle von Kostenüberschreitungen untersucht. „Die meisten Mega-Projekte stehen unter einem gewaltigen politischen Druck. Personen, die wollen, dass das Projekt genehmigt wird, unterschätzen die Kosten und überbewerten den Nutzen.“ Manche, sagt Flyvbjerg, wollten sich doch einfach nur „ein Monument“ bauen.

Suezkanal (Kostenüberschreitung: 1900 Prozent) und Oper Sydney (1400 Prozent) sind übrigens traurige Rekordhalter. Das tröstet Hamburg. Alptraum Elb-Traum hält sich dagegen in Grenzen.