Essen. . Der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt hat im Berliner Abgeordnetenhaus schon Erfahrungen mit den politischen Senkrechtstartern gemacht und denkt, dass sie inhaltlich an ihre Grenzen stoßen. Im Interview erklärt Klaus Wowereit zudem, warum er Hannelore Kraft im Wahlkampf unterstützt.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) war zum Wahlkampfauftakt der NRW-SPD in Mülheim. Mit der WAZ-Mediengruppe sprach er über die Wahl in NRW, das neue CDU-Programm, die Piraten und die Salafisten.
Sie unterstützen Hannelore Kraft im Wahlkampf, ebensowie Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Fast alles Namen, die für eine Kanzlerkandidatur 2013 gehandelt werden. Werden Sie Ihren Hut in den Ring werfen?
Klaus Wowereit: Die Position der SPD ist eindeutig. Wir werden das Ende des Jahres, Anfang nächsten Jahres entscheiden. Jetzt geht es darum, dass die SPD in Nordrhein-Westfalen gewinnt und dass Hannelore Kraft Ministerpräsidentin bleibt.
Nach der letzten Umfrage in NRW käme die SPD auf 40 Prozent, für Hannelore Kraft würden sich bei einer Direktwahl 49 Prozent entscheiden. Warum kommt Kraft so gut bei den Menschen an?
Sie hat bewiesen, dass sie dieses Land führen kann. Sie hat sich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit erworben. Sie hat vor der Wahl gesagt, Bildung ist ihr wichtig. Nach der Wahl hat sie die Studiengebühren und die Beiträge für das dritte Kita-Jahr abgeschafft. Sie hat Reden und Handeln in Einklang gebracht und ist als Landesmutter akzeptiert. Sie hat bei kritischen Situationen die passenden Worte gefunden.
Sie meinen die Rede bei der Trauerfeier für die Loveparade-Opfer.
Ja, das war sehr ergreifend. Es war sicherlich eine der schwersten Reden, die sie zu halten hatte. Aber sie hat es mit einer derart überzeugenden Menschlichkeit getan. Ich glaube, das hat ihr sehr viel Sympathien eingebracht.
Die ungeliebte große Koalition
Wenn es in NRW nicht für Rot-Grün reichen wird, wird es dann eine Große Koalition geben?
Hannelore Kraft hat mit der jetzigen Regierungsformation sehr gute Arbeit geleistet. Es ist eine sehr naheliegende Option, diese Koalition fortzusetzen. Wichtig ist, dass die SPD stark wird. Dann sehe ich auch für eine rot-grüne Mehrheit wieder gute Chancen.
Sehen Sie – vor allem nach der Saarlandwahl – einen Trend zur Großen Koalition?
Eine Große Koalition ist nie eine Wunschkonstellation. Doch wenn Wahlergebnisse die Wunschkonstellation ausschließen, muss eine regierungsfähige Mehrheit zustande gebracht werden, was auch immer das dann konkret bedeutet – so haben wir es auch in Berlin erlebt. In NRW haben jetzt erst einmal die Wählerinnen und Wähler das Wort und die SPD tritt mit dem klaren Ziel an, gemeinsam mit den Grünen weiter die Regierung zu stellen. Alles andere sind Spekulationen, für die es keinen Grund gibt.
Am CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen ist Kritik laut geworden, weil er sich nicht eindeutig positioniert hat, ob er im Falle einer Wahlniederlage in NRW bleiben wird.
Das war ein kapitaler Anfängerfehler. Es ist kein Abstieg, wenn sich ein Bundespolitiker wieder fürs Land entscheidet. Aber es muss ohne Wenn und Aber erfolgen. Da reagieren die Wählerinnen und Wähler sehr empfindlich. Es ist fatal, wenn jemand nur für ein Land arbeiten möchte, wenn er einen bestimmten Posten bekommt. Röttgen hätte sich entscheiden müssen - für NRW ohne Rückfahrkarte. Das hat er nicht gemacht.
Die Bringschuld der Piraten
Am 13. Mai könnte es sein, dass eine Partei ohne echte Inhalte den Sprung in den NRW-Landtag schafft. In Berlin sitzen die Piraten bereits im Parlament. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Die Piraten scheinen es zu schaffen, sich zu etablieren. Das ist dann aber kein Erfolg aufgrund einer inhaltlichen Positionierung, sondern aufgrund einer Nicht-Positionierung. Die Piraten sind eine Sammlung unterschiedlichster Akteure. Aber es gibt zurzeit Bürger, die aus Protest denken: Die kann man mal wählen. Ich glaube nicht, dass diese Menschen wirklich wollen, dass sie von den Piraten regiert werden.
Wurmt es Sie, dass die Piraten mit so wenig Inhalt so viel Erfolg haben?
Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen, man muss sie stellen. Es darf nicht auf Dauer hingenommen werden, dass die Piraten zu vielen aktuellen Themen nur sagen: Da haben wir keine Meinung zu. Diese Positionslosigkeit machen sie dann auch noch zum Programm. Wer derart viel Zustimmung bei Wahlen erreicht, hat eine Bringschuld gegenüber den Wählerinnen und Wählern.
Gelingt es Ihnen in Berlin, sie zu stellen?
Da hat es schon eine gewisse Entzauberung gegeben. Was im Berliner Abgeordnetenhaus inhaltlich von ihnen gekommen ist, war nicht berauschend. Das hat ihnen bislang in den Umfragezahlen zwar noch nicht geschadet, aber auf Dauer wird es so nicht akzeptiert werden.
Die CDU will am Montag ihr Programm „Starkes Land – gute Heimat“ besprechen und sich verstärkt um ihr traditionelles Klientel in den ländlichen Regionen kümmern. Das kann Ihnen doch recht sein, so kann sich die SPD in den Städten austoben?
Es ist fatal, wenn eine Partei glaubt, die großen Städte vernachlässigen zu können. In Deutschland leben mehr als 50 Prozent der Menschen in großen Städten. Eine Politik für große Städte heißt ja nicht, dass man die ländlichen Regionen vernachlässigt. In den Städten werden viele Aufgaben der Daseinsvorsorge für die Umlandregionen mit erledigt. Deshalb ist das, was die konservative Regierung auf der Bundesebene leider begonnen hat, nämlich den Abbau der Unterstützung für die Städte, ein völlig falsches Signal.
Warum?
Die Streichung der Mittel für die soziale Stadt zum Beispiel hat verheerende Auswirkungen. Wenn dies jetzt auch noch programmatisch unterlegt wird und dieser Trend sich fortsetzt, ist das fatal für die gesamte Republik. Städte sind Orte, wo gesellschaftliche Entwicklungen sich im positiven wie im negativen deutlicher zeigen als im ländlichen Bereich. Sie können damit nicht alleine gelassen werden.
Mehr Kitas statt Betreuungsgeld!
Ein Punkt in dem Programm wird auch das umstrittene Betreuungsgeld sein...
Weder in der CDU noch in der FDP, erst recht nicht bei den anderen Parteien, gibt es eine Mehrheit für diesen Unsinn. Selbst konservative Kreise wie die Kirchen warnen davor. Es ist eine absolute Minderheitenposition, die die CSU da einnimmt und in der konservativen Bundestagskoalition durchsetzen will. Das darf nicht gelingen. Dieses Konzept bedeutet rausgeschmissenes Geld, es unterstützt Fehlentwicklungen. Wir wollen, dass die Kinder in die Kita gehen. Dorthin muss die staatliche Förderung fließen.
Die CDU kündigt in dem Papier auch die Einführung einer Großelternzeit an. Großeltern, die oft die Kinderbetreuung übernehmen, sollen so – analog zum Elterngeld – leichter eine Auszeit vom Beruf nehmen können.
Auch diese Positionierung ist undurchdacht. Nicht nur, weil hier wieder einmal Kinderbetreuung vor allem als familiäre Angelegenheit gesehen wird. Die Union ist gleichzeitig doch auch die Partei, die sagt, Rente erst ab 67 Jahren - am besten noch erst ab 70 - wäre die Notwendigkeit für die Zukunft. Auf der anderen Seite wollen sie nun mit solchen Konzepten Menschen früher aus dem Erwerbsleben herausziehen. Das ist alles recht wirr. Die staatliche Förderung für die Kinderbetreuung sollte sich auf die Kitas konzentrieren.
Deutschland hat derzeit noch andere Sorgen: Die radikal-islamischen Salafisten verteilen in vielen Regionen kostenlos den Koran. Sollten solche Aktionen verboten werden?
Ich glaube, man kann sie nicht verbieten. Stattdessen ist Aufklärung notwendig. Und wenn bei dieser Gruppierung Verfassungsfeindlichkeit vorliegt, muss darauf reagiert werden.
Das heißt, sie schließen ein Verbot der Salafisten nicht aus?
Dafür sind die Behörden zuständig, die das überprüfen. Ein Verbot muss immer begründet und belegbar sein. Das hat aber nicht direkt etwas mit den jetzigen Aktionen zu tun.