Essen. . Die Gründung eines Chapters der niederländischen Rockergruppe Satudarah in Duisburg ist ein Beleg dafür, dass sich die Rockerszene über Landesgrenzen hinweg vernetzt. Politik und Polizei wollen derweil mit aller Härte gegen die Rockerclubs vorgehen. Es gibt eine Art politischer Kriegserklärung.
Bissendorf bei Hannover, Eichhornweg. Am Donnerstag vor Pfingsten seilen sich GSG-9-Einheiten vom Hubschrauber aus ins Grundstück von Frank Hanebuth ab. Sie erschießen den Hund, durchsuchen das Haus und nehmen den 47-jährigen vorläufig in Haft. Der Verdacht: Deutschlands Rockerkönig, den sie auch „den Langen“ nennen, soll für Körperverletzung, Waffenhandel, Erpressung verantwortlich sein.
Keine Woche später sagt ein Kronzeuge vor dem Kieler Landgericht aus: Der Hannoveraner sei nicht nur der deutschlandweite Boss der Hells Angels. Ohne ihn fände keine „Hausdurchsuchung“ statt und wohl auch kein rabiates Zuschlagen. Er habe auch den Mord am widerspenstigen Rockermitglied Tekin Bicer geordert. Die Leiche des vor seinem Tod angeblich schwer gefolterten Türken wird rund um Kiel immer noch in aufgehackten Betonmauern gesucht.
Frank Hanebuth beteuert: „Ich habe schon mal zugehauen. Aber ich leg’ doch keinen um“. Der Mordvorwurf sitzt tief. Denn für Hanebuth und für Deutschlands Rockerszene insgesamt geht es gerade um alles.
Politik und Polizei gehen mit aller Härte gegen Rocker vor
Die Landesregierungen zwischen München und Düsseldorf verbieten nicht nur eine lokale Rocker-Organisation nach der anderen. Der spektakuläre kriegsähnliche Polizeieinsatz und die ungewöhnlichen und umfassenden Aussagen des Abtrünnigen Steffen R. vor den Kieler Richtern, die Hanebuth belasten, zeigen, dass Politik und Polizei jetzt mit aller Härte vorgehen wollen. Es gibt so eine Art politische Kriegserklärung. Und das nicht nur im Norden.
Überall in den Innenministerien der Republik hat man erkannt, dass der vor zwei Jahren erklärte „Rockerfrieden von Hannover“ zwischen den beiden großen Gruppen reine Show war. Die Zahl der bundesweiten Ermittlungsverfahren gegen Rocker wegen organisierter Kriminalität ist von zwei im Jahr 2006 über 15 im Jahr 2008 auf 35 anno 2010 geklettert. Und seit Mai 2011 sei „das Konfliktpotenzial deutlich angestiegen“, sagt der leitende Kriminaldirektor Thomas Jungbluth vom NRW-Landeskriminalamt. Auf Nordrhein-Westfalen heruntergebrochen: Die 250 Höllenengel und 400 Bandidos haben seither hier elf Clubs neu aufgebaut. Eine beispiellose Gründungswelle. Man pfuscht sich sogar in die vermeintlich geschützten Operations- und Geschäftsgebiete - das von Banditen im Ruhrgebiet und das von Höllenengel im Rheinland.
Wurde Bandido in Bottrop Opfer einer "Mutprobe"?
War der Tod von „Hannes“ aus Bottrop eine Schlacht in diesem bundesweiten und gnadenlosen Kampf der Chapter und Charter? Der 47-jährige war am Dienstag letzter Woche sterbend auf der Straße gefunden worden. In Berlin machen Gerüchte die Runde, der eigentlich recht harmlose Motorradfan, ein Bandido, sei das Opfer einer „Mutprobe“ geworden, die von Hells Angels in der Hauptstadt gegenüber übergelaufenen Banditen verordnet worden sei. „Wir gehen allem nach. Auch Gerüchten, dass Rivalitäten zwischen den Gruppen eine Rolle spielen könnten“, sagt der Essener Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen. Aber über mehr als ein Gerücht könne man dabei eben nicht reden.
Während der Fall in Bottrop also noch der Aufklärung bedarf, hat sich in Duisburg, wo der Landesinnenminister sowieso eine Kampfzone vermuten, ein neuer Brennpunkt gebildet.
Die Gründung eines Chapters der niederländischen Rockergruppe Satudarah im westlichen Revier ist nicht nur ein Beleg dafür, dass sich die Rockerszene mehr und mehr über Landesgrenzen hinweg vernetzt. Experten werten die Vereinigung von Satudarah mit den ortsansässigen Rockern von „Brotherhood Clown Town“ in NRW auch als weitere Kampfansage an die Hells Angels.
Satudarah schwächt die Position der Hells Angels im Revier
„Brotherhood Clown Town“ steht den Bandidos nahe. Die deutschen Bandidos und Satudarah pflegen beste Beziehungen. Die Eröffnung eines Satudarah-Clubhauses in Duisburg schwächt die Position der Hells Angels, die ebenfalls in Duisburg ein Chapter gegründet haben, erheblich.
Seit Jahren konkurrieren Satudarah und Hells Angels in den Niederlanden, die Gruppen sind sich spinnefeind, und Satudarah scheint in dem Konfikt die besseren Karten zu haben. „Beide expandieren, jeder will der Größte sein“, erzählt ein Redakteur der niederländischen Tageszeitung Algemeen Dagblad (AD), der sich mit der Szene beschäftigt hat. Im Sommer 2011 seien 50 Mitglieder von Satudarah zu einem Treffen nach Amsterdam aufgebrochen, also in die „Hauptstadt der Hells Angels“. Insider werteten dies als offene„Kriegserklärung“ von Satudarah an die konkurrierende Gruppe. Die Polizei verhinderte das Treffen, um einen Rockerkrieg zu verhindern. Sie nahm die Clubmitglieder, von denen mehrere mit Messern und Pistolen bewaffnet waren, fest.
Satudarah "gefährlichste Rockergruppe der Niederlanden"
Der AD-Journalist hält Satudarah für die „gefährlichste Rockergruppe in den Niederlanden“ Immer wieder seien Mitglieder in den letzten Jahren wegen Drogenhandel und Waffenbesitz aufgefallen. Viele seien im Sicherheitsgewerbe, zum Beispiel als Türsteher beschäftigt. Verschiedene Versuche der Regierung, die Organisation zu verbieten, waren bislang erfolglos. Man konzentriert sich derzeit auf das Verhindern neuer Chapter von Satudarah in den Niederlanden.
Satudarah hat seinen Ursprung in dem kleinen Ort Moordrecht bei Gouda. Mitglieder der Molukken-Community dort gründeten den Motorklub im Jahr 1990. Der Club betont die „Multikulturalität“ in seinen Reihen. Ansonsten sucht er selten die Öffentlichkeit.
Kein Außenstehender weiß, wie viele Mitglieder sich genau in den 15 Chaptern in den Niederlanden organisieren. Die Angaben schwanken zwischen 400 und 1000.
Erst im April hatte Satudarah eine Abteilung in Antwerpen in Belgien gegründet, ohne allerdings eine konkrete Adresse in der Stadt zu nennen. Die Neugründung in Duisburg ist also der zweite Schritt über die niederländische Grenze in kurzer Zeit.
80 Razzien gegen Rockerclubs in NRW
Kann der Staat da gegenhalten? 80 Razzien hat es alleine in NRW in den letzten zwei Jahren gegen Rockerclubs gegeben, 300 Mal wurden Veranstaltungen streng kontrolliert. Unter den Innenministern der Länder wird überdies der Einsatz des schärfsten Schwerts erwogen, des bundesweiten Verbots. Doch das ist rechtlich schwer. Bei Weitem nicht alle Rocker sind kriminell, manche wollen wirklich nur Motorrad fahren und Männerfreundschaften pflegen. Und noch ist überhaupt offen, ob es so etwas wie eine bundesweite Organisation gibt. Auch aus diesem Grund wird die Aussage des abtrünnigen Kronzeugen Steffen R. in Kiel so genau beobachtet. Hanebuth als krimineller Oberboß? Das wäre schon ein juristischer Ansatz. Wenn R., laut Anklage selbst ein Schwerstkrimineller, denn überhaupt die Wahrheit sagt.
In Düsseldorf bleibt man nicht nur deshalb vorsichtig. Schon ein lokales Vereinsverbot habe „hohe rechtliche Hürden“, heißt es im Innenministerium von NRW. Es sei „nur ein möglicher Baustein“. Saturadah, die Niederländer, blieben aber jetzt mit ihrer Duisburger Filiale „fest im Blick“.