Berlin. Bei der Fahndung in der Neonazi-Mordserie betrieben die Ermittler in Nürnberg einen Imbissstand. Der Untersuchungsausschuss zeigt: Die Ermittlungen liefen lange in die falsche Richtung - auch weil türkische Behörden der Polizei Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität nahegelegt hatten.
Eva Högl war verdutzt. Eine Dönerbude? Eine „ungewöhnliche Maßnahme“, entfuhr es der SPD-Abgeordneten. Ihr Erstaunen ist erklärungsbedürftig. An sich ist ein Imbissstand eher uninteressant. Aber wenn die Polizei ihn betreibt, wundert man sich schon, und erst recht, dass sie auf diese Weise eine Reihe von Morden an Migranten aufklären wollte; eine Serie zwischen 2001 und 2008, von der man heute weiß, dass sie das Werk des nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) war. Die Täter waren rechtsextreme Terroristen, mutmaßlich Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Dass die bayrische Polizei sechs Monate lang in Nürnberg einen Dönerstand betrieb, ist lediglich ein Detail, das diese Woche vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages bekannt wurde. Es passt ins Schema: Viele Politiker haben den Verdacht, dass die Beamten fixiert waren auf diese eine Spur, die in Richtung Ausländerkriminalität führte.
Andere Hinweise außer Acht gelassen?
Und darum ist diese Geschichte vom Dönerstand auch so entlarvend und so peinlich. Sie erhärtet den Verdacht, dass andere Hinweise außer Acht gelassen wurden. Das hat Barbara John seit langem vermutet. „Der Wahnsinn hat Methode“, sagte die Ombudsfrau für die NSU-Opfer der „Berliner Zeitung“.
Kein Aufwand war den Ermittlern damals zu groß. Über 11 000 Menschen wurden überprüft, wie der frühere Nürnberger Oberstaatsanwalt Walter Kimmel vor dem Ausschuss verriet. Zu dumm nur, beklagten SPD, Linke und Grüne, dass auf der anderen Seite bloß neun Rechtsextremisten vernommen wurden. Spuren im Bereich der organisierten Kriminalität sei man mit einem „ungleich höheren Aufwand“ nachgegangen als einem möglichen rechtsextremen Motiv, kritisiert Ausschussvorsitzender Sebastian Edathy (SPD).
Man muss sich allerdings auch in die Lage der Beamten versetzen. Die türkischen Behörden hatten der Polizei Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität nahegelegt. Anders als bei früheren Terroranschlägen fehlte auch jedes Bekennerschreiben. Es habe „keine Anhaltspunkte“ für die Existenz einer terroristischen Vereinigung gegeben, so Kimmel.
So banal – und so brutal
Der Dönerstand war eigentlich schlüssig und – als Falle – sogar fantasievoll. Mit der Bude wollte man die Täter anlocken. In Nürnberg und München hatten sich schon drei Anschläge gegen Türken und Griechen ereignet – daher der Standort. Die Imbissstube wurde von einem V-Mann der Polizei geführt. Der blieb – wieder eine Frage der polizeilichen Taktik – seinen Lieferanten Zahlungen schuldig. Und wartete ab, was passierte. Damals hat die Polizei vermutet, dass in solchen Fällen ein „Inkasso-Team“ der Händler ein Exempel statuierte – und aus Rache tötete.
Dabei gab es schon damals Analytiker, die Profile von Tätern erstellen und die auf einen rechtsextremistischen Hintergrund tippten. Und wenn man sich das Opferbild anschaue, beharrt Ombudsfrau John, sei es zwingend, dass an ein politisches Motiv hätte gedacht werden müssen. Man habe alles getan, um die Taten aufzuklären, rechtfertigt sich Kimmel. Man habe in keiner Weise in irgendeine Richtung bewusst nicht ermittelt, versichert der Ex-Staatsanwalt.
Eine falsche Spur. Das war es. So banal. Und so brutal.