Köln/Sokoto. . In Nigeria gibt es Terror, weil sich die Regierung zu wenig um den muslimisch geprägten Norden kümmert - und nicht, weil es Streit zwischen Christen und Muslimen gäbe, sagt der katholische Bischof Matthew Kukah. Die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen seien eng.
Seit Jahren sorgt die islamistische Terrororganisation Boko Haram im Norden Nigerias für Angst und Schrecken. Allein in den vergangenen Monaten starben Hunderte Christen durch Bombenanschläge auf Kirchen und andere Einrichtungen. Doch wer dieses Problem als ein religiöses darstelle, mache es sich zu einfach, sagt der katholische Bischof Matthew Kukah aus der nordnigerianischen Stadt Sokoto, den die NRZ am Mittwoch bei einem Besuch in Köln traf. Was im Westen gern in den Zusammenhang eines weltweiten Kampfs islamistischer Terroristen gegen westliche Werte gesehen wird, sei in Wahrheit viel komplizierter.
Reaktion auf die Vernachlässigung Nordnigerias
"Einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen sehe ich jedenfalls nicht“, sagt der 59-jährige Kirchenführer, der seit dem vergangenen Herbst die katholische Diözese im überwiegend von Muslimen besiedelten Norden des Landes leitet.
Natürlich gebe es nach den jüngsten Anschlägen viel Angst unter den Menschen in seiner Region. „Aber nicht nur unter den Christen“, so Kukah. Auch Muslime fürchteten neue Angriffe, zumal auch sie viele Opfer zu beklagen hätten. Auf das Verhältnis zwischen den Christen und ihren muslimischen Nachbarn hätte der Konflikt aber kaum Auswirkungen. „Dafür sind unsere Beziehungen viel zu eng“, sagt Kukah. Beispielhaft verweist er auf die katholische Mutter-und-Kind-Klinik in Sokoto: „95 Prozent der dort behandelten Frauen sind Muslima.“
Der wahre Grund für die aktuelle Krise liege nicht in der Religion, sondern in der Politik, sagt der Bischof. Der Terror von Boko Haram sei verbrecherisch und nicht zu entschuldigen, aber er sei eine Reaktion auf die Vernachlässigung Nordnigerias durch die aktuelle, aus dem Süden des Landes stammende Regierung. Statt mit Vertretern des Nordens zu reden, lasse Präsident Goodluck Jonathan zu, dass sich eine korrupte Elite an den reichen Öl-Ressourcen in der Küstenregion bediene.
Zudem müsste die Regierung im Kampf gegen Boko Haram mehr Engagement zeigen. „Das ist kein unausrottbares Problem“, sagt Kukah mit Blick auf Terror in anderen Staaten. „Aber Präsident Jonathan muss sich jetzt entscheiden, ob er das Problem lösen will – oder er muss zurücktreten.“
Auch in der Scharia, dem islamischen Rechtssystem, das seit 2000 in vielen Provinzen Nordnigerias gilt, sieht Kukah kein grundsätzliches, religiöses Problem, sondern ein Versagen des Staates. Die Menschen verlangten nach der Scharia, weil das staatliche Rechtssystem nicht funktioniere. „Gerechtigkeit in Nigeria ist sehr teuer“, spielt er auf die weit verbreitete Bestechungspraxis in der Justiz an. Ein starkes staatliches Rechtssystem, dessen Regeln auch durchgesetzt werden, könne die Scharia zurückdrängen. „Oder leben die Muslime in Deutschland oder in Südafrika unter der Scharia?“
Insgesamt blickt Bischof Kukah indes alles andere als pessimistisch in die Zukunft Nigerias. Nach und nach gebe es erste, langsame Veränderungen. „Der Elefant ist nicht der schnellste“, sagt er mit Blick auf die rund 150 Millionen Einwohner des Landes. „Aber es gibt jetzt einige jüngere Gouverneure, die zeigen, das man das Land auch anders führen kann. Zum Beispiel der Gouverneur von Lagos.“ Viele sähen die Küstenmetropole heute „als einen komplett anderen Staat – noch nicht perfekt, aber die Dinge fangen langsam an zu funktionieren“, so Kukah.