Essen. Im Ruhrgebiet gibt es fast keine Wohnungslosen mehr. Während in den 1960er-Jahren noch Zehntausende in Notunterkünften oder auf der Straße hausten, haben heute in Dortmund, Essen, Duisburg und Bochum praktisch alle Bürger ein solides Dach über dem Kopf.

Im Ruhrgebiet gibt es fast keine Wohnungslosen mehr. Die großen Revierstädte, zahlreiche Wohlfahrtsverbände und Hilfsdienste bestätigen dies. Während in den 1960er-Jahren noch Zehntausende in Notunterkünften oder auf der Straße hausten, haben heute in Dortmund, Essen, Duisburg und Bochum praktisch alle Bürger ein solides Dach über dem Kopf. Duisburg schätzt die Zahl derer, die freiwillig auf der Straße leben und auf Hilfsangebote verzichten, auf „unter 10“, in Bochum sollen es „zwischen fünf und 10“, in Essen sieben sein. Ebenfalls verschwunden: die „Berber“, die einst von Stadt zu Stadt zogen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe und der Hilfsverein „Bodo“ loben die Revierstädte für vorbildliche Präventionsarbeit: „Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, bekommen im Ruhrgebiet Hilfe. Noch entscheidender ist aber, dass es hier genügend preiswerte Wohnungen gibt“, sagt Werena Rosenke von der BAG. Ihr zufolge ist in NRW die Zahl der Wohnungslosen seit 1975 um 80 Prozent gesunken. Nach WAZ-Recherchen steht das Ruhrgebiet noch besser da. Wohnungsnot und Obdachlosigkeit bleiben hingegen in rheinischen Städten wie Köln und Düsseldorf, wo freie Wohnungen selten sind, ein Thema.

„Seit vielen Jahren handeln wir nach dem Motto ,Niemand verliert eine Wohnung’, und meist schaffen wir das auch“, erklärt Peter Bartow, der Dortmunder Sozialamtsleiter. Etwa 100 Menschen würden in der Westfalenmetropole noch in Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht, sehr wenige lebten freiwillig in „ungeregelten Wohnverhältnissen“, also auf der Straße.

„Es gibt eine überdachte Obdachlosigkeit“

Laut Bastian Pütter von „Bodo“ landen zwar nach wie vor Menschen auf der Straße, „aber sie finden wegen der Hilfsangebote auch leichter wieder aus dieser Situation heraus“. Pütter unterstreicht aber, dass im Ruhrgebiet nach wie vor Zigtausende in prekären Verhältnissen leben. „Es gibt eine überdachte Obdachlosigkeit. Das sind Menschen, die in einer Wohnung fast ohne Möbel nur auf einer Isomatte schlafen.“ Sozial-Expertin Monika Dürger von der evangelischen Gemeinde St. Reinoldi in Dortmund gibt zu bedenken, dass die Armut im Revier insgesamt nicht abnehme.

„Bodo“ war für Ralf eine Brücke zurück in ein normales Leben. Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool
„Bodo“ war für Ralf eine Brücke zurück in ein normales Leben. Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Wer heute in Dortmund, Duisburg, Essen oder Bochum Gefahr läuft, seine Wohnung zu verlieren, bekommt „Hilfe aus einem Guss“. So nennt es die Duisburger Sozialamts-Leiterin Andrea Bestgen-Schneebeck. Ihre Kollegen in den anderen Stadtverwaltungen bestätigen, dass es ihnen meist gelinge, eine Zwangsräumung abzuwenden. Oder denen, die dennoch auf der Straße landen, ganz fix wieder ein Dach über dem Kopf zu besorgen. Wohnungslosigkeit ist fast kein Thema mehr im Ruhrgebiet. Denn es gibt zwischen Duisburg und Dortmund viele billige Wohnungen.

In den 60er-Jahren waren 12.000 Menschen in Essen in Notunterkünften

In Essen waren im Jahr 1975 noch rund 3700 Menschen in Notunterkünften untergebracht. Das zeigt ein Blick in die Archive der Stadt. In den 60er-Jahren sollen es sogar 12 000 gewesen sein, erklärt Hans Aring von der Essener Arbeiterwohlfahrt. Heute leben 120 Menschen in der einzig verbliebenen Notunterkunft für Wohnungslose. Die Entwicklung in anderen Städten ist vergleichbar. „In Bochum gibt es nur zwischen fünf und zehn Menschen, die die Hilfe ablehnen und nicht untergebracht werden wollen“, sagt Gerlinde Fuisting von der Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Bochum.

Lebenserwartung auf der Straße: 43 Jahre

Werena Rosenke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Bielefeld lobt die Situation im Ruhrgebiet. Andernorts, ja schon im benachbarten Rheinland, sei die Lage schwierig. „Und in vielen deutschen Städten gibt es nach wie vor ganze Obdachlosen-Siedlungen“, sagt Rosenke.

Bastian Pütter, Sprecher des Dortmund-Bochumer Vereins „Bodo“, der das gleichnamige Straßenmagazin herausgibt, weiß, wie wichtig es ist, dass an der Ruhr so viel mehr arme Menschen heute ein Dach über dem Kopf haben: „Die Straße ist lebensgefährlich, die Lebenserwartung dort im Schnitt nur 43 Jahre.“ Winterliche Kälte sei wegen der Unterbringung in normalen Wohnungen längst keine so große Gefahr mehr für die extrem Armen im Ruhrgebiet wie früher. „Wir sehen aber, dass viele im Sommer sterben, weil sie körperlich so geschwächt sind, dass sie die Hitze nicht vertragen.“

Wohnungslosigkeit gehört zwar derzeit nicht mehr zu den drängenden Problemen im Ruhrgebiet, wohl aber die Armut. Neben den wenigen verbliebenen Notunterkünften für Wohnungslose gibt es nach wie vor in den Revierstädten Notschlafstellen für Drogenabhängige und für Jugendliche, die nicht mehr bei ihrer Familie leben können oder wollen. Und das heißt: Nach wie vor leben auch im Ruhrgebiet aus unterschiedlichen Gründen einige Menschen auf der Straße.

Trinkraum eröffnet

Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet.
Der umstrittene Trinkraum in der Dortmunder Nordstadt hat am 2. Januar 2012 eröffnet. © WR/Franz Luthe
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Notschlafstelle für obdachlose Jugendliche

Das Sleep-In ist eine Notschlafstelle für Jugendliche, die auf der Straße leben. Es handelt sich zum großen Teil um Jungen und Mädchen, die ihre Familie oder eine Jugendhilfeeinrichtung dauerhaft verlassen haben.
Das Sleep-In ist eine Notschlafstelle für Jugendliche, die auf der Straße leben. Es handelt sich zum großen Teil um Jungen und Mädchen, die ihre Familie oder eine Jugendhilfeeinrichtung dauerhaft verlassen haben. © WAZ
Oft haben sie die Konflikte in ihren Familien, Freundeskreisen und in ihrer vertrauten Umgebung als so belastend empfunden, dass sie ihren Lebensmittelpunkt auf die Strasse verlegt haben.
Oft haben sie die Konflikte in ihren Familien, Freundeskreisen und in ihrer vertrauten Umgebung als so belastend empfunden, dass sie ihren Lebensmittelpunkt auf die Strasse verlegt haben. © WAZ
Dieser Zielgruppe soll das Sleep-In dabei helfen, zumindest zeitweise aus dem Stress und den Anforderungen, die das Leben auf der Strasse mit sich bringen, auszusteigen.
Dieser Zielgruppe soll das Sleep-In dabei helfen, zumindest zeitweise aus dem Stress und den Anforderungen, die das Leben auf der Strasse mit sich bringen, auszusteigen. © WAZ
In der Dortmunder Sozialeinrichtung finden sie einen Ort, an dem sie sich entspannen und ausruhen können und an dem sie Beratung und Unterstützung erfahren.
In der Dortmunder Sozialeinrichtung finden sie einen Ort, an dem sie sich entspannen und ausruhen können und an dem sie Beratung und Unterstützung erfahren. © WAZ
Das Sleep-In hat drei Etagen, jeweils eine Schlafetage für Jungen und Mädchen sowie eine Etage, um gemeinsam zu essen, zu spielen, zu reden.
Das Sleep-In hat drei Etagen, jeweils eine Schlafetage für Jungen und Mädchen sowie eine Etage, um gemeinsam zu essen, zu spielen, zu reden. © WAZ
Mit zehn ständigen und zwei Notschlafplätzen kann das Haus maximal sechs Mädchen und sechs Jungen gleichzeitig aufnehmen. Die meisten Straßenkinder hier sind zwischen 14 und 18 Jahren alt.
Mit zehn ständigen und zwei Notschlafplätzen kann das Haus maximal sechs Mädchen und sechs Jungen gleichzeitig aufnehmen. Die meisten Straßenkinder hier sind zwischen 14 und 18 Jahren alt. © WAZ
Die jungen Obdachlosen können im Sleep-In auch ihre Kleidung waschen, trocknen und lagern.
Die jungen Obdachlosen können im Sleep-In auch ihre Kleidung waschen, trocknen und lagern. © WAZ
Weitere Fotos von Helmuth Voßgraff
Weitere Fotos von Helmuth Voßgraff © WAZ
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