Kiel. Unmittelbar vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am Sonntag sagen Experten ein knappes Wahlergebnis voraus. Herausforderer Torsten Albig (SPD) ist beliebter als CDU-Mann Jost de Jager. Aber ihre Parteien liegen gleichauf. Alles schaut nun auf die Piraten.

Unmittelbar vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am Sonntag sagen Experten ein knappes Wahlergebnis voraus. Die Mehrheitsverhältnisse im Kieler Landtag, wo seit 2009 eine CDU-FDP-Koalition regiert, sind Umfragen zufolge alles andere als klar. Außerdem gilt der Urnengang als Stimmungstest für die Landtagswahl in NRW am 13. Mai.

Am Morgen ist Torsten Albig, der SPD-Spitzenkandidat, noch in Geesthacht die Elbe entlang geradelt. Am Abend geht es von Mölln weiter nach Ratzeburg. Vier Wochen am Stück tourt er bis zum Wahltag durchs Land, von einem „Experiment“ sprechen seine Mitarbeiter. Keine „Anbrüll-Veranstaltungen“ auf Marktplätzen, statt dessen Lerntermine für den Kandidaten: „Das haben wir noch nie gemacht.“

In Heide in Dithmarschen hat ihn ein älteres Ehepaar auf der Straße erkannt: „Kiek mol, dat ward de nige Ministerpräsident.“ Auf einem Bio-Hof bei Ratzeburg gibt ihm der Bauer einen Klaps auf die Schulter: „Unser neuer Ministerpräsident“, stellt er Albig den Mitarbeitern vor. „Super“, dieser Wahlkampf, strahlen Albigs Gehilfen: „Erkennungsrate gefühlte 70 Prozent.“

Piraten sind das „Restrisiko“

Der joviale Glatzkopf von der SPD, einst Sprecher des Finanzministers Steinbrück, derzeit Oberbürgermeister von Kiel, ist zwar der Herausforderer. Doch sein Widerpart auf Regierungsseite hat keinen Amtsbonus. Der populäre Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hört auf. Und der bisherige Wirtschaftsminister Jost de Jager, der ihn beerben soll, liegt in Umfragen hinter Albig zurück, zuletzt mit 31 zu 53 Prozent. Im TV-Duell gingen sie fair miteinander um. Der SPD-Mann konnte sich aber besser in Szene setzen.

Dass nicht erst 2014 gewählt wird, haben die Schleswig-Holsteiner ihrem Verfassungsgericht zu verdanken. Es hatte im Jahr 2010 Teile des Landeswahlrechts kritisiert und vorgezogene Wahlen bis Herbst 2012 angeordnet.

Die SPD, bei der Wahl 2009 auf 25,4 Prozent gefallen, hat sich mittlerweile auf rund 32 Prozent verbessert und liegt mit der CDU in etwa gleichauf. Bleibt ein, wie Albig sich ausdrückt, „Piraten-Restrisiko“.

In nur vier Wochen schnellte der Umfragewert der Piraten von fünf auf knapp zehn Prozent in die Höhe.

Den Schaden haben die Grünen. Ihre Werte bröckeln. Albigs rot-grüne Wunschregierung könnte ohne Mithilfe des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), der Partei der dänischen Minderheit, für die keine Fünf-Prozent-Hürde gilt, schon nicht mehr zustande kommen. Und diese sogenannte „Dänen-Ampel“ auch nur, wenn weder die FDP noch die Linke es in den Landtag schaffen. CDU-Mann de Jager schöpft daraus Hoffnung. Die FDP lag zuletzt gut im Rennen.

FDP ist kein Partner mehr

Als de Jager im September die Spitzenkandidatur übernahm, habe Rot-Grün gemeinsam 55 Prozent auf die Waage gebracht. Heute nur noch 44 Prozent: „Die Dinge sind im Fluss“, sagt de Jager. Sein Ziel für die CDU: „Mit Abstand stärkste Kraft“ zu werden, um anschließend ein „stabiles Zweierbündnis“ bilden zu können. Mit der FDP rechnet de Jager dabei nicht mehr.

Albig setzt auf Polarisierung. Eine „Richtungsentscheidung“ stehe bevor, hämmert er im Schweinehof, einer Landgaststätte an der Westküste, einer Versammlung von Bürgermeistern ein: „Solide Finanzen“ oder „Zurückkehren in den Schuldenstaat“. „Ruhe an den Schulen“ oder „ideologische Schulpolitik“. „Investitionen oder Stillstand“.

Kubicki soll es für die FDP richten

Von Wolfgang Kubicki (60) wird besonders viel erwartet. Der FDP-Mann soll in Schleswig-Holstein eine ganze sieche Bundespartei aus dem Elend erlösen. Kubicki macht Wahlkampf nach dem Motto: Frechheit siegt. Traktiert den Koalitionspartner in Kiel und Berlin mit Häme: Der CDU sei es egal, mit wem sie regiere. Der Rechtsanwalt tritt zum fünften Mal als Spitzenkandidat an und gilt als Parteirebell. Unberechenbar für Parteichef Philipp Rösler. Ist die FDP überhaupt noch zu retten? „Wir werden an den Infoständen nicht mehr belächelt“, sagt Jörg Hansen, Kreisverbandschef in Ostholstein. Dort hat sich prominenter Besuch angesagt: Rainer Brüderle ist aus Berlin hergeeilt, um den Parteifreunden beizustehen. In Schleswig-Holstein dürfe es nicht so weit kommen wie im Saarland, wo es jetzt „im Parlament nur noch linke Kräfte“ gebe, warnt Brüderle.

Am schlimmsten für die FDP sei es Ende vorigen Jahres gewesen, als ihr der Generalsekretär Christian Lindner abhanden kam, meint Jörg Hansen: „Mittlerweile kehrt sich die Stimmung.“Umfragen sagen den Liberalen derzeit um die sechs Prozent voraus.