Kiew. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hat angekündigt, den Fall der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko untersuchen zu lassen. Die Europäische Union setzt die Ukraine angesichts der Vorwürfe massiv unter Druck. Bundesinnenminister Friedrich droht mit EM-Boykott.
In Europa ist eine Diskussion über den Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine entbrannt. EU-Justizkommissarin Viviane Reding schloss aus Protest gegen die Behandlung der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko einen Besuch des bevorstehenden Turniers aus. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) drohte zumindest damit, Bundespräsident Joachim Gauck sagte eine Reise in die Ukraine ab, Außenminister Guido Westerwelle (FDP) drohte mit Konsequenzen. Boxweltmeister Vitali Klitschko rief dagegen europäische Fußballfans auf, zu den Spielen zu reisen.
"Ich möchte alle Fans bitten, zur EM in die Ukraine zu reisen und ihr Team zu unterstützen - trotz der traurigen Lage von Julia Timoschenko", schrieb der ukrainische Boxer in der "Bild"-Zeitung. "Die Menschen in der Ukraine hätten es nicht verdient, wenn sie jetzt international isoliert werden." Schuld an der Situation sei die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch.
Reding habe ihr Fernbleiben UEFA-Präsident Michel Platini in einem Brief mitgeteilt, sagte indes eine Sprecherin der Kommissarin in Brüssel. Die erkrankte frühere ukrainische Ministerpräsidentin Timoschenko befindet sich nach Angaben ihres Anwalts seit mehreren Tagen im Hungerstreik, weil sie gewaltsam in ein Krankenhaus verlegt wurde. Die am 8. Juni beginnende EM wird gemeinsam von Polen und der Ukraine ausgetragen.
"Ich hätte ein Problem, in einem Stadion zu sitzen, dort ein Spiel zu sehen und vielleicht zu jubeln und zu wissen, wenige Kilometer entfernt wird jemand nicht gemäß der Regeln behandelt, die wir uns gegeben haben", sagte Friedrich in Luxemburg. Was das genau bedeute, wolle er aber noch nicht sagen, ergänzte der CSU-Politiker, der auch für Sport zuständig ist. Er hoffe, dass die Regierung noch eine ordentliche Krankenbehandlung Timoschenkos ermögliche. Es sei "kaum zu verstehen, dass die ukrainische Regierung die Chance verpasst, ein positives Licht auf ihr Land zu werfen."
Roth will kein Fußballspiel in der Ukraine anschauen
Grünen-Chefin Claudia Roth ging derweil am weitesten. "Kein Bundestagsabgeordneter sollte in dieser Situation EM-Spiele in der Ukraine besuchen," sagte sie "Spiegel Online". Sie selbst wolle mit gutem Beispiel vorangehen.
Westerwelle sagte lediglich, die Bundesregierung unterstütze keine Boykottaufrufe zur EM. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Martin Löning, lehnte einen Boykott klar ab. "Ich finde es sehr richtig, wie sich der DFB und insbesondere Herr Niersbach geäußert hat, nämlich sehr klar für Menschenrechte, für Meinungsfreiheit. Ich glaube, wir erreichen mehr, wenn die Welt hinschaut und auch hinter die Kulissen in der Ukraine schaut."
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hatte sich am Mittwoch dem Appell der Bundesregierung nach medizinischer Behandlung Timoschenkos angeschlossen. Einen Boykott der Spiele schloss er aber aus.
Gaucks Absage begrüßt
Koalition, SPD und Grüne begrüßten derweil Gaucks Entscheidung, eine Reise in die Ukraine wegen der Menschenrechtslage dort abzusagen. Westerwelle und mehrere Abgeordnete forderten eine angemessene medizinische Betreuung der inhaftierten und kranken Timoschenko.
Westerwelle sagte während einer Südostasienreise, das Außenamt stehe in engem Kontakt und Austausch mit dem Bundespräsidenten. Der FDP-Politiker betonte, er habe der Regierung in Kiew noch einmal das Angebot gemacht, dass Timoschenko in Deutschland behandelt wird.
Es gehe aber nicht nur um die Oppositionsführerin, sondern auch um andere Häftlinge, die erkrankt seien, sagte Westerwelle. "Auch für sie muss eine ordentliche medizinische Betreuung möglich werden." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte: "Die ukrainische Regierung darf sich einer Behandlung Timoschenkos in Deutschland nicht in den Weg stellen".
Die Menschenrechtspolitikerin der Unionsfraktion, Erika Steinbach, sagte, sie begrüße sehr, dass Gauck die Reise abgesagt hat. Die Situation Timoschenkos sei sehr kritisch. Der Umgang mit ihr widerspreche allen Menschenrechtsstandards.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, er könne Gaucks Entscheidung gut nachvollziehen. Der Bundespräsident setze damit ein "sehr starkes Signal". Gauck hatte in Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Teilnahme an einem Treffen mitteleuropäischer Präsidenten Mitte Mai in Jalta auf der Krim abgesagt.
Menschenrechtsbeauftragter verlangt Freilassung Timoschenkos
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, fordert die Freilassung von Timoschenko. "Ich persönlich finde, Präsident Janukowitsch sollte eine humanitäre Geste machen und Timoschenko und andere ehemalige Minister aus dem Gefängnis entlassen", sagte der FDP-Politiker am Freitag dem Hörfunksender HR-Info. So wie Timoschenko behandelt werde, mit einem unfairen Prozess und anschließender Verweigerung von medizinischer Betreuung, so würden auch andere ehemalige Kabinettsmitglieder behandelt. Dies zeige, dass politische Gegner unter Druck gesetzt würden. "Das können wir nicht tolerieren in Europa", betonte Löning.
Einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft lehnte er aber ab. "Ich glaube, dass Druck entsteht, wenn wir alle hinschauen, wenn die Medien berichten, wenn wir uns alle interessieren. Das erzeugt wesentlich mehr Druck, als ein Boykott", betonte Löning. Er lobte zugleich die Entscheidung von Bundespräsident Joachim Gauck, einen Besuch in der Ukraine abzusagen.(dapd)