Moskau/Brüssel. . Brüssel setzt das EM-Gastgeberland Ukraine jetzt auch unter Druck. Doch Präsident Janukowitsch gibt sich uneinsichtig.

Die Absage von Bundespräsident Joachim Gauck, der seinen geplanten Besuch in der Ukraine gestrichen hat, befeuert die Diskussion um Menschenrechtsverletzungen und Demokratiedefizite in dem Land aufs neue. Nun erhöht auch die Europäische Union den Druck auf Kiew und den Präsidenten Viktor Janukowitsch .

Dabei geht es vor allem um die inhaftierte Ex-Präsidentin Julia Timoschenko. Die EU will Berichten über eine Misshandlung Timoschenkos in der Haft vor Ort nachgehen. Die Behörden der Ukraine seien gebeten worden, den EU-Botschafter des Landes zu der Politikerin vorzulassen, teilte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mit.

Der Fall Timoschenko, die schwer erkrankt ist, gefährdet nach Ansicht des Vorsitzenden des Außenausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz, auch die Verbesserung der Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU. Ob das Assoziierungsabkommen in Kraft treten könne, „hängt auch davon ab, ob die Regierung in Kiew sich im Fall Timoschenko bewegt“, sagte Polenz.

Machtapparat schleudert mit Dreck

Mit dem Abkommen sollen Rahmenbedingungen für eine Kooperation geschaffen und der Grundstein für eine engere wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bindung gelegt werden. Außerdem geht Brüssel davon aus, auf diesem Weg Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte in der Ukraine zu fördern.

Präsident Janukowitsch scheinen derartige Drohungen allerdings genau so kalt zu lassen wie der Sitzstreik der Opposition im Parlament und die Kritik der Kiewer Presse. „Kritik stimuliert“, hat er einmal gesagt. „Sie macht uns böser.“

Stattdessen schleudert sein Machtapparat weiter mit Dreck: auf Timoschenko, auf die Opposition, auf alle, die anderer Meinung sind.

Aber solcherlei amtliche Verlautbarungen nimmt die ukrainische Öffentlichkeit nicht mehr ernst. Es gilt längst als Selbstverständlichkeit, dass Justizbehörden und Strafvollzug Janukowitsch in seiner Fehde gegen Timoschenko nach Kräften zur Hand gehen. „Ohne den ausdrücklichen Willen unserer obersten Führung wäre ein Prozess unmöglich gewesen, in dem Julia Timoschenko zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wird“, sagte der Kiewer Politologe Wadim Karasew der WAZ-Mediengruppe.

„Sie wird auf einem weißen Pferd zurückkehren“

Timoschenko vereitelte als Führerin der „Orangenen Revolution“ Janukowitschs getürkten Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen 2004, sie war seine große Konkurrentin bei den Wahlen 2010. „Janukowitsch musste sie ins Gefängnis bringen, weil er selbst dort gesessen hat, und mit diesem Komplex nicht fertig wird“, spottet der Moskauer Politologe Stanislaw Belkowski.

Nun drohen dem Präsidenten innenpolitische Probleme. Ausgerechnet durch Timoschenko, der alten Intim-Feindin, die er selbst zur Märtyrerin gemacht hat. „Das Gefängnis rehabilitiert sie als Politikerin“, sagt Politologe Karasew. „Sie demonstriert Stärke als Kämpferin und gibt Interviews, die zeigen, dass sie geistig in Hochform ist. Sie wird gleichsam auf einem weißen Pferd aus dem Gefängnis zurückkehren.“

Neue Schikanen

Währenddessen sinkt das Vertrauen der Wählerschaft in Janukowitsch. Nach einer Umfrage müsste der Ukrainer nicht nur Timoschenko als Konkurrentin fürchten. In der Stichwahl dürfte er nicht nur ihr deutlich unterliegen, sondern auch anderen Oppositionspolitikern wie etwa dem Boxweltmeister Vitali Klitschko.

Timoschenko aber ist im Hungerstreik. Ihre Zellennachbarin landete im Karzer, wie Anwalt Sergej Wlasenko mitteilte. „Janukowitschs Regime schikaniert diese Frau nur, weil sie nicht bereit ist, Falschaussagen gegen Timoschenko zu machen.“ Seit sie hinter Gittern sitzt, klingen Julia Timoschenko und ihre Anhänger viel glaubwürdiger als ihr Widersacher Janukowitsch und seine Vasallen.