Frechen. Im NRZ-Interview spricht Bernhard Worms, Urgestein der NRW-CDU und Präsident der Europäischen Senioren-Union, über das Verhältnis von Jung und Alt und die Herausforderungen für die CDU vor den Neuwahlen in NRW.
Er ist CDU-Wahlkämpfer der ersten Stunde, war NRW-Landtagsabgeordneter, unter Norbert Blüm Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium und führt heute die Europäische Senioren-Union. Mit NRZ-Chefredakteur Rüdiger Oppers und Redakteur Thomas Rünker sprach Bernhard Worms (82) über die Neuwahlen in NRW, konservative Themen in der CDU und die Gerechtigkeit zwischen den Generationen.
Herr Worms, bei der CDU scheint sich die Vorfreude auf die Landtags-Neuwahl noch entwickeln zu müssen.
Bernhard Worms: Die CDU ist nicht begeistert, jetzt Wahlkampf zu machen. Irgendwie hatte man zwar immer erwartet, dass Rot-Grün keine fünf Jahre hält – aber dass das Ende jetzt so plötzlich und so überzeugend gekommen ist, das hat doch alle überrascht, erst recht die Parteibasis.
Nur noch gut vier Wochen Zeit, um Plakate zu kleben und Handzettel zu verteilen. Wie groß ist der Wahlkampf-Stress?
Worms: Da habe ich in der CDU keine Sorge. Ich habe seit 1949 jede Wahl mitgemacht und für solche Routineaufgaben finden wir immer genügend Helfer. Es sind eher die Personaldiskussionen, von denen die Basis geglaubt hatte, sich damit jetzt noch nicht auseinander setzen zu müssen. Ich wohne ja im Wahlkreis von Jürgen Rüttgers, der nun erklärt hat, nicht mehr kandidieren zu wollen. Und dann müssen wir auch im Internet noch besser werden.
Aber da ist die CDU doch schon mit allen möglichen Seiten vertreten.
Worms: Trotzdem haben wir dieses Medium noch nicht richtig im Griff. Nehmen Sie die Piraten. Die haben ihr Programm längst nicht so ausformuliert wie man es von einer Partei eigentlich erwartet – und doch haben die dank ihrer Internet-Aktivitäten erstaunlich viel Erfolg. Das ist ein Wahlkampffeld, das wir noch nicht im Griff haben.
Ist es richtig, dass ihr Spitzenkandidat Norbert Röttgen sich nicht festlegt, nach der Wahl auf jeden Fall in Düsseldorf zu bleiben?
Worms: Norbert Röttgen hat sich entschieden, die Sache bis nach der Wahl offen zu lassen. So viel Freiheit muss ein Spitzenkandidat haben. Aber jeder muss dann nach der Wahl auch das Ergebnis gegen – oder für – sich gelten lassen. Wichtig ist, dass Norbert Röttgen seine Entscheidung jetzt nicht noch korrigiert. Das würde in der Öffentlichkeit noch schlechter ankommen.
Hätte es keinen aussichtsreicheren Kandidaten gegeben?
Worms: Nach dem Wahlsieg von Rot-Grün, dem Rücktritt von Jürgen Rüttgers und der Wahl Norbert Röttgens zum neuen CDU-Landesvorsitzenden hat es bei uns keine Diskussion darüber gegeben, ob diese NRW-CDU nicht auch andere denkbare Kandidaten gehabt hätte. Das ging damals doch praktisch über Nacht. Wir hätten diese Frage sicherlich diskutiert, wenn Neuwahlen absehbar gewesen wären. Aber auf diesen überraschenden Neuwahl-Termin jetzt war natürlich niemand von uns vorbereitet – für eine breite Personaldiskussion waren schlicht die Fristen viel zu kurz.
Wie groß ist im bürgerlichen Lager der Ärger über die Sturheit der FDP? Hätten die Liberalen den Haushalt nicht überraschend abgelehnt, wäre es ja jetzt nicht zur Neuwahl gekommen.
Worms: Ich denke, dass im bürgerlichen Lager eine grundsätzliche Neuüberlegung stattfindet. Die CDU muss sich doch fragen, wie es weitergeht, wenn die FDP nach dem Saarland auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nicht mehr in die Landtage kommt – erst recht, wenn es danach auch im Bund vorgezogene Neuwahlen geben sollte.
Mit welchen Themen soll die NRW-CDU jetzt punkten?
Worms: Das wichtigste, aber wohl auch schwierigste Thema ist die öffentliche Verschuldung. Die Frage ist, ob der Wähler sagt: die künftigen Generationen sind mir egal, sollen die doch sehen, wie sie morgen klar kommen, Hauptsache, mir wird heute geholfen. Dann ist das Wasser auf die Mühlen von SPD und Grünen. Wenn der Wähler aber anders denkt, kommt es uns zugute.
"Letztlich dreht sich alles um die Frage, warum nicht genug Kinder geboren werden."
Wo sehen Sie weitere mögliche konservative Ansätze im Landtagswahlkampf?
Worms: Es ist gut, dass der Streit um die Schulformen beigelegt ist. Trotzdem bleibt natürlich die Frage der Inhalte in Schule und Erziehung, alles was mit Wertevermittlung zu tun hat. Da sehe ich vor allem zwei Felder: Das eine ist die bessere Integration der vielen Kinder und Jugendlichen, die nicht aus Deutschland stammen, in unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unsere Kulturszene... Und das andere – noch relativ neu – ist die Inklusion von Menschen mit Behinderung: Der behinderte Mensch darf nicht mehr als Sonderfall gesehen werden, sondern als ganz normales Mitglied der Gesellschaft, der deshalb zum Beispiel auch an regulären Schulen unterrichtet wird.
Sie führen die Europäische Senioren Union, das EU-Pendant zur Senioren-Union in der CDU. Wie reagiert man dort auf die allenthalben alternden Gesellschaften Europas?
Worms: Europaweit ist jetzt die Solidarität zwischen den Generationen das große Thema. Wir alle müssen zum Teilen bereit sein. Die Haltung: Ich lebe nur für mich alleine, ist endgültig vorbei. Alle Nationen müssen begreifen, dass die eine Generation der anderen wie in Form eines Staffelstabs etwas mit auf den Weg gibt. Das hat mit Wirtschaft zu tun, mit einem gesunden finanziellen Fundament der Gesellschaft, aber vor allem mit Werten – und hier zuallererst mit Verantwortlichkeit: Wenn ich für mich ein Recht reklamiere, muss ich auch bereit sein, Pflichten zu erfüllen. Diese Generationen übergreifende Solidarität müssen wir weiter betonen, damit sie die Botschaft des christlichen Abendlandes an die Welt wird.
Und das ist Unions-Meinung?
Worms: Das ist vor allem meine eigene Meinung auf Basis meiner christlichen Glaubensüberzeugung.
Als konkreter Beitrag zur Solidarität zwischen den Generationen wird in der Union aktuell ein „Alten“-Soli als eine Art Sondersteuer für den demografischen Wandel diskutiert. Was halten Sie davon?
Worms: Die zu Recht geforderte Solidarität innerhalb einer Generation und zwischen den heute vorhandenen fünf Generationen verlangt nahezu gebieterisch eine Lösung aus einem Guss. Schon alleine das Gebot zur Nachhaltigkeit jedweden politischen Tuns setzt voraus, dass ein erkanntes Problem von allen Seiten her einer Lösung zugeführt wird. Diese Meinung der CDU, die auch von der Bundeskanzlerin geteilt wird, ist in keinem Fall ein „Augenblicks-Einfall“, sondern umfasst stets die den ganzen Menschen, die Familie, die Gemeinde, den Staat etc. angehenden Lösungsvorschläge.
Allgemein scheint die CDU derzeit auf der Suche nach christlich-konservativen Überzeugungen zu sein. Auf Bundesebene versucht ein „Berliner Kreis“, konservative Akzente zu setzen, was der Parteiführung eher nicht gefällt...
Worms: In der CDU hat ein spürbarer Denkprozess eingesetzt, weil viele Parteimitglieder sagen, uns fehlt etwas, mit dem wir uns identifizieren können. Ich sehe schon, dass wir bei konservativen Themen ein Defizit haben. Aber ob solche Gesprächskreise da das Mittel der Wahl sind, weiß ich nicht. Für solche Themen brauchen Sie führende Köpfe, die das zu ihrer Sache machen. Und die sehe ich im „Berliner Kreis“ derzeit nicht.
Ob es nun am demografischen Wandel liegt, oder nicht – man hat den Eindruck, dass der Einfluss der Senioren in der Politik zunimmt.
Worms: Diesen Eindruck kann ich nur bestätigen, aber das war ein langer Weg. Es hat 40 Jahre gebraucht, bis sich in der Politik die Einsicht durchgesetzt hat, dass der ältere Mensch ein Gewinn für die Gesellschaft ist und keine Last. Das gilt auch auf dem Arbeitsmarkt. Wir werden das Problem des Facharbeitermangels doch nur lösen, wenn wir den erfahrenen Leuten anbieten, länger als bis zu ihrem 65. Geburtstag zu bleiben – dann allerdings auch mit einem Bonus bei der Rente.
Übernehmen die Senioren jetzt die Macht?
Worms: Die heutigen Senioren haben sich doch vor 40 Jahren nicht überlegt, aus politischen Gründen jetzt alle im Schnitt 100 Jahre alt werden zu wollen. Letztlich dreht sich alles um die Frage, warum nicht genug Kinder geboren werden. Dieser Frage müsste die Politik deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken und die Familie in den Mittelpunkt stellen. Wenn die Familie im Zentrum stünde, müsste sich alles in der Gesellschaft – zum Beispiel auch die Wirtschaft – nach den Anforderungen der Familien richten, und nicht umgekehrt. Wir sind da in einem Umbauprozess, etwa bei Kita-Plätzen oder Ganztagsschulen, aber längst noch nicht am Ziel. Aber wir sind sicher, dank unserer Lebenserfahrung, aus der heraus wir nicht müde werden zu schöpfen, werden wir unser größtes Ziel erreichen: Die Solidarität innerhalb einer jeden Generation und zwischen den Generationen.