Kandahar. Der Soldat war offenbar dem Druck im Dienst nicht gewachsen und ist offenbar ausgerastet. Er schoss wahllos - unter den Toten sind auch Frauen und kleine Kinder.
Und schon wieder muss Präsident Barack Obama unfassbares Fehlverhalten amerikanischer Soldaten entschuldigen: Nach den Koran-Verbrennungen durch Amerikaner, die Ausschreitungen und über 30 Tote nach sich zogen, belastet seit dem Wochenende ein folgenschweres Blutbad das Verhältnis zwischen der US-geführten Schutztruppe Isaf und der afghanischen Bevölkerung. In der im Süden gelegenen Provinz Kandahar rastete ein US-Soldat offenbar aus und erschoss nach Angaben afghanischer und amerikanischer Behörden in den nebeneinander liegenden Dörfern Balandi und Alkozai gezielt 16 Zivilisten. Fünf weitere Menschen wurden nach offiziellen Angaben schwer verwundet in ein Krankenhaus gebracht. Der Mann wurde festgenommen, nachdem er sich selbst gestellt hatte. Seine Motive sind laut Isaf-Sprecher Brockhoff unklar. Dem Vernehmen nach soll der Täter, dessen Identität geheim gehalten wird, mental den Anforderungen seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen gewesen sein.
Neun Kinder unter den Toten
Laut New York Times hatte der Soldat in der Nacht zu Samstag gegen 3 Uhr die Militär-Basis im Panjwai-Distrikt verlassen und war hintereinander in vier Häuser in unmittelbarer der Nachbarschaft des Stützpunkts eingedrungen. Er soll dort nach Angaben von Augenzeugen das Feuer eröffnet haben. Unter den Toten, viele davon mit Kopfschüssen, befinden sich laut „Washington Post“ neun Kinder im Alter von sechs Jahren und jünger. Der Gouverneur der Provinz Kandahar verurteilte die Tat. Das Isaf-Hauptquartier in Kabul räumte den Zwischenfall sofort ein, sprach von einem „schrecklichen Vorkommnis“ und sagte eine umfassende Untersuchung zu. Der afghanische Präsident Hamid Karzai sprach von einer „gezielten Tötung“ unschuldiger Bürger, für die es „keine Vergebung geben kann“.
Barack Obama "tief traurig"
US-Präsident Barack Obama zeigte sich in einer Stellungnahme „tief traurig“. Der „tragische und schockierende“ Vorfall repräsentiere nicht den „außergewöhnlichen Charakter unserer Armee“ und den „Respekt“, den die Vereinigten Staaten für das afghanische Volk besäßen, sagte Obama. US-Verteidigungsminister Leon Panetta äußerte ebenfalls sein „tiefes Bedauern“ und kündigte ein rückhaltlose Aufklärung und Bestrafung des Täters an. Der Amoklauf belastet das seit Monaten zusehends angespannte Verhältnis zwischen den ausländischen Truppen und der afghanischen Seite enorm. Bereits am Freitag waren vier afghanische Dorfbewohner in der Proivinz Kapisa im Osten des Landes ums Leben gekommen und drei schwer verletzt worden. Isaf-Truppen hatten die Männer irrtümlich für feindliche Taliban-Kämpfer gehalten.
Verhandlungen über Truppenabzug erschwert
Die Koranverbrennungen durch US-Soldaten hatten landesweit für Aufruhr gesorgt. Die Gespräche zwischen der Regierung Karsai und den Amerikanern über ein Abkommen für die Zeit nach dem Truppenabzug 2014 geltend fortan als noch mehr erschwert. Das Blutbad in Kandahar, das sich gestern wie ein Lauffeuer bis in den Norden des Landes herumsprach, dürfte das furchtbarste Verbrechen der US-Truppen seit zehn Jahren sein. 2010 sorgte ein so genanntes „Kill Team“ für einen tagelang wütend diskutierten Skandal. Die Soldaten passten im Maywand-Bezirk in Kandahar unbewaffnete Afghanen ab, töteten sie und schnitten ihnen Körperteile als Trophäen ab. Damals kamen drei Afghanen ums Leben. Gestern waren es 16. Ein Taliban-Sprecher erklärte laut „Washingon Post“: Wieder einmal hat sich erwiesen, dass die Amerikaner ihren „Durst mit dem Blut unschuldiger Afghanen stillen“.