Kabul/Berlin. Die Zahl der Todesopfer bei den Ausschreitungen in Afghanistan ist auf mindestens 30 gestiegen. Bei einer Schießerei im afghanischen Innenministerium sind zwei US-Berater getötet worden. Seit fünf Tagen protestieren Tausende gegen die Koran-Verbrennung durch US-Soldaten.
Bei einem Angriff wütender Demonstranten auf ein UN-Gebäude im nordafghanischen Kundus sind am fünften Tag der Proteste gegen Koran-Verbrennungen mindestens vier Menschen getötet worden. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden wurden am Samstag zudem mehr als 50 Menschen verletzt. Im Innenministerium in Kabul wurden zwei Angehörige der NATO-Truppe ISAF erschossen, ob es einen Zusammenhang zu den Protesten gab, war zunächst unklar.
In Kundus versuchte die wütende Menge, ein Gebäude der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) zu stürmen, wie ein Polizeisprecher sagte. Ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP beobachtete, wie Polizisten in die Menge schossen, um die Demonstranten zu vertreiben. Nach Angaben eines Sprechers der Bundeswehr, in deren Verantwortungsbereich Kundus liegt, gelang es einigen Demonstranten, auf das Gelände des Gebäudekomplexes vorzudringen. Sie seien aber von afghanischen Polizisten zurückgedrängt worden.
Berichte über vier Tote und 56 Verletzte in Kundus
Nach Angaben von Augenzeugen hatten die Demonstranten zunächst Steine auf die Polizisten geworfen. Diese schossen daraufhin erst in die Luft und dann auf die Demonstranten. Der Leiter der Gesundheitsbehörden in Kundus, Sahad Mochtar, sagte, aus den Krankenhäusern gebe es Berichte über vier Tote und 56 Verletzte. Dichte Rauchwolken erhoben sich über die Stadt, als Demonstranten Autoreifen in Brand setzten. Eine UN-Sprecherin bestätigte den Angriff auf das UNAMA-Gebäude. Wieviele UN-Mitarbeiter sich in dem Gebäude aufhielten, wollte sie nicht sagen.
Oberhalb der Stadt liegt das Feldlager Kundus, in dem derzeit rund 1300 Bundeswehrsoldaten und 1000 weitere ISAF-Soldaten aus anderen Staaten stationiert sind. Deutsche Soldaten seien nicht nach Kundus ausgerückt, sagte der Bundeswehrsprecher. Im April 2011 hatten wütende Demonstranten bei Protesten gegen eine Koranverbrennung in den USA ein UN-Büro im nordafghanischen Masar-i-Scharif gestürmt und dabei drei europäische UN-Mitarbeiter und vier nepalesische Wachleute getötet.
Schießerei in der Kontrollzentrale des afghanischen Inneminsteriums
Nach Angaben aus afghanischen Regierungskreisen wurden bei einer Schießerei in der Kommando- und Kontrollzentrale des Innenministeriums in Kabul zwei US-Berater getötet. Die NATO erklärte, bei den Toten handele es sich um ISAF-Angehörige. Ein Angreifer habe seine Waffe gegen die ISAF-Angehörigen gerichtet. Die Hintergründe der Tat waren zunächst unklar, laut Fernsehberichten ging den Schüssen ein "Wortwechsel" voraus. Einem örtlichen Radiosender zufolge wurden der oder die Angreifer getötet.
In Afghanistan gibt es seit Dienstag gewaltsame Protestdemonstrationen, nachdem bekannt geworden war, dass US-Soldaten auf dem Stützpunkt Bagram Koran-Exemplare verbrannt hatten. Eine Entschuldigung von US-Präsident Barack Obama konnte die Gewalt nicht eindämmen. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden bislang mindestens 28 Menschen getötet. Am Donnerstag hatte die Bundeswehr ihren Stützpunkt in der Stadt Talokan wegen der Proteste vorzeitig geräumt.
Auch in weiteren afghanischen Provinzen gab es am Samstag Proteste. In Mihtarlam in der Provinz Laghman wurden bei Ausschreitungen nach Ärzteangaben mindestens 15 Menschen von Kugeln getroffen. Proteste in den Provinzen Logar und Nangarhar im Osten sowie Sari Pul im Zentrum des Landes blieben nach Behördenangaben weitgehen friedlich. (afp)