Essen. . In den kommenden Jahrzehnten wird es nach einer Studie weitaus mehr Studenten an deutschen Hochschulen geben als bisher erwartet. Nach der am Montag in Gütersloh vorgestellten Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) wird es bis 2015 rund 500.000 zusätzliche Studenten geben. Bis 2025 würden sogar 1,1 Millionen zusätzliche Studienanfänger gegenüber dem Niveau von 2005 erwartet.
Erstmals in der Geschichte des Landes strömten im letzten Herbst mehr als 100 000 Studienanfänger an die Hochschulen Nordrhein-Westfalens. Das waren satte 22 Prozent mehr als im Jahr zuvor, die Gesamtzahl der Studierenden stieg auf 580 000 an – Rekord. Die Hochschulen nahmen mehr Anfänger auf als je zuvor, Kinosäle, Autohäuser und Baumärkte wurden zu Hörsälen umfunktioniert.
Bislang gingen die Prognosen davon aus, dass aus demografischen Gründen ab 2015 der Studentenansturm wieder nachlässt. Weniger junge Leute – weniger Studenten, so lautete die einfache Gleichung. Das war zu simpel gerechnet, wie eine neue Langfrist-Prognose des CHE (das unabhängige Centrum für Hochschulentwicklung) ergab. Demnach werde bis einschließlich 2016 in NRW jedes Jahr die bisherige Rekordmarke von 100 000 Studienbeginnern übertroffen und anschließend nur langsam sinken.
Mehr Studierwillige
Der Trend gilt bundesweit: Bis 2015 wird es gemessen am Niveau des Jahres 2005 etwa 535 000 zusätzliche Studienanfänger geben, kalkuliert das CHE. Die Annahmen der Länder lagen damit deutlich zu niedrig. Sie gingen von rund 330 000 zusätzlichen Erstsemestern aus. Damit entsteht eine Lücke von 200 000 Studienplätzen, „die nicht eingeplant und ausfinanziert ist“, so das CHE.
Die Berechnungen zeigen zudem, dass die Zahl erst 2045 wieder den Stand von 2005 erreichen werden. Grund sei vor allem eine höhere Studierneigung junger Menschen, die sich stärker auswirke als der demografische Wandel. Kurz: Es wird zwar weniger junge Menschen geben, aber mehr Studierwillige.
Kein Studentenberg, sondern ein Hochplateau
CHE-Geschäftsführer Jörg Dräger sagte: „Der vermeintliche Studentenberg ist kein Berg, sondern ein ausgedehntes Hochplateau.“ Bis 2025 würden etwa 1,1 Millionen zusätzliche Studienanfänger erwartet.
Seit 2005 lagen alle Prognosen zu den Studienanfängerzahlen daneben. In den Jahren 2007 bis 2011 stieg die Zahl der Erstsemester in Deutschland um über 40 Prozent. Bis 2010 sollten mit dem Hochschulpakt I, der von Bund und Ländern finanziert wurde, Plätze für 91 000 zusätzliche Studenten geschaffen werden. Es kamen 182 000. Auch die Zahlen für die zweite Phase des Pakts bis 2015 sind nach Ansicht von Experten viel zu niedrig angesetzt.
Milliarden fehlen
NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) fordert daher mehr Geld von der Bundesregierung: „Wir brauchen einen Hochschulpakt Plus“, betont sie. Dieser müsse neben den Anfängerplätzen eine Aufstockung der Masterplätze beinhalten, sonst stoßen die vielen Studienbeginner nach dem Bachelor-Abschluss gegen eine neue Wand. Nötig seien dafür knapp zehn Milliarden Euro bis 2020, errechneten Länderminister bereits.
Angesichts der neuen CHE-Zahlen könnte selbst diese Summe knapp kalkuliert sein. „Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, muss man sicher komplett neu verhandeln“, heißt es aus dem NRW-Wissenschaftsministerium. Die Zeit drängt.
Viele Gründe
Die Gründe für den Zustrom sind vielfältig. Da sind die doppelten Abiturjahrgänge und das Ende der Wehrpflicht. Zudem strömen derzeit die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge der 60er-Jahre und mehr ausländische Studenten an die Hochschulen. Was aber den Trend verstetigt, ist der Umstand, dass immer mehr junge Menschen einen Schulabschluss anstreben, der zu einem Studium berechtigt. Waren es 2007 noch 45 Prozent eines Jahrgangs, sind es heute 58 Prozent.