Essen. Christian Wulff war gestern, heute ist Joachim Gauck. Kaum ist der eine Bundespräsident weg, knöpfen sich die Talk-Master der Republik den Nachfolger vor, noch bevor dieser im Amt ist. Doch bei Anne Will zeigte sich: Der Neue ist nicht so leicht zu packen.

Gut 20 Minuten hatte Anne Wills ARD-Runde die Personalie für den künftigen Hausherrn Joachim Gauck im Schloss Bellevue schon zwischen. Da waren etwa die Kritiker: Ein unbekannter Berliner Juso-Chef namens Christian Berg hatte sich ausgelassen über „erschreckende“ und „teilweise dramatische“ Aussagen Joachim Gaucks, etwa in der Sarrazin-Debatte; Edith Franke, Gründerin der „Dresdner Tafel“, hatte sich über Joachim Gaucks „abstrakten Freiheitsbegiff“ mokiert, dem der Aspekt der Gerechtigkeit fehle.

Und da waren auch die Joachim Gauck-Fans: Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hieß einen, „der sich etwas traut“, euphorisch „herzlich willkommen“; der Historiker August Winkler lobte reichlich umständlich den Neuen für seinen „sehr gradlinigen“ Freiheitsbegriff. So ging das, wie gesagt, bereits 20 Minuten und der Daumen näherte sich schon gefährlich dem Umschaltknopf der Fernbedienung.

Richard David Precht über Joachim Gauck als Bundespräsident: "Er soll ja nicht Papst werden"

Dann kam Richard David Precht. Der in unzähligen TV-Talkrunden gestählte Alltags-Philosoph aus dem Bergischen Land hatte sein Hemd wieder weit aufgeknöpft und ruckte bereits ungeduldig auf dem Stuhl herum. Precht blickte vielsagend in die Runde, schob sich elegant die Intellektuellen-Haarsträhne aus dem Gesicht und raunte: "Er soll ja nicht Papst werden." Womit Precht schon deshalb richtig lag, weil Joachim Gauck (erstens) evangelisch und (zweitens) verheiratet ist. Beides unüberwindliche Hürden für eine Karriere als Pontifex maximus. Aber Gauck soll ja auch nicht in den Vatikan, sondern als neuer Bundespräsident ins Schloss Bellevue einziehen. Und dafür sah selbst der gestrenge Freizeit-Oberlehrer Precht beim Kandidaten Gauck „die Qualifikation absolut erfüllt“: er könne gut reden, sei kein Berufspolitiker, dafür aber authentisch, glaubwürdig und eine starke Persönlichkeit. Man fragte sich: Redet Precht noch von Joachim Gauck, oder schon von sich selbst?

Anne Wills Diskutanten nahmen die Personalie Joachim Gauck bleischwer-wichtig

Anne Wills abendliche Runde war vor allem eines: Der Beweis dafür, dass es am Aschermittwoch kein Bierzelt und kein alkoholisiertes Publikum braucht, um zu einer wichtigen Sache wenig Sinnvolles zu sagen. Die Sigmar Gabriels und Horst Seehofers sind bei ihren angestrengt witzigen Reden gelegentlich wenigstens noch unfreiwillig komisch; die Diskutanten bei Anne Will nahmen die Personalie Joachim Gauck aber so bleischwer-wichtig, dass sogar die verzweifelten Verteidigungs-Erklärungen von Christian Wulffs Anwälten lockerer klangen.

"Das Volk muss den Bundespräsidenten direkt wählen"

Das Ganze wurde auch nicht besser, als sich die Runde der Frage zuwandte, wie der Bundespräsident künftig gewählt werden soll. „Der Parteienklüngel muss aufhören“, forderte Vera Lengsfeld, inzwischen bei der CDU untergekommene Ex-DDR-Bürgerrechtlerin. Das Volk müsse direkt wählen. Und klar, hakte da auch Richard David Precht wieder ein. Die Wahl in der Bundesversammlung durch Politiker oder Delegierte der Parteien sei „nicht mehr zeitgemäß“, der erste Mann (oder die erste Frau) im Staate dürfe nicht länger „ins Amt geklüngelt“ werden. Wie denn dann? Precht wusste Rat: keine Direktwahl durchs Volk, nein, ein „zivilgesellschaftlicher Rahmen“ muss her. Eine „alternative Bundesversammlung“ aus Vertretern von amnesty international und Greenpeace, Kirchen, Sozialorganisationen und anderen Verbänden solle den Bundespräsidenten küren. Wie das den Klüngel verhindern soll, blieb allerdings sein Geheimnis.

Am Ende war man dann bei der Stasi, Otto Rehhagel und den Baby-Boomern angelangt und man wartete nur noch sehnsüchtig auf Anne Wills Abmoderation. Wir wissen heute nicht, mit welchem Kredit der zukünftige Bundespräsident Joachim Gauck sein Haus bezahlt hat oder wo und auf wessen Kosten er Urlaub machte. Aber wie auch immer – solch eine uninspirierte Runde wie an diesem Mittwochabend bei Anne Will hat der Mann auf keinen Fall verdient.