Paris/Essen. . Diese Szene vom CDU-Parteitag 1968 machte sie weltweit bekannt: Eine elegante junge Frau geht auf den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger zu und schlägt ihm ins Gesicht, weil er während des Dritten Reichs Mitglied der NSDAP war. Jetzt will “Nazi-Jägerin“ Beate Klarsfeld Joachim Gauck herausfordern.

Die als „Nazi-Jägerin“ ­bekannt gewordene Beate Klarsfeld ist bereit, für die Linkspartei als Gegenkan­didatin von Joachim Gauck bei der Bundespräsidentenwahl am 18. März anzutreten. „Es wäre eine Ehre für mich“, sagte sie der WAZ-Mediengruppe. Sie bestätigte damit Kontakte zur Linken. Die Linkspartei will heute entscheiden, ob sie einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt.

Joachim Gauck steht für den Kampf um Menschenrechte in der DDR, und ich stehe für die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen“, erklärte die in Paris lebende 73-Jährige. Eine mögliche Kandidatur begreife sie auch als eine Möglichkeit, um über ihr gesellschaftliches Engagement zu sprechen.

Beate Klarsfeld engagiert sich in der Organisation „Söhne und Töchter deportierter französischer Juden“. Sie ist in Frankreich seit 1963 mit dem Rechtsanwalt Serge Klarsfeld verheiratet, der seinen Vater in Auschwitz verloren hat. Beate Klarsfeld setzt sich außerdem für die Solidarität mit dem Staat Israel ein.

Ohrfeige für Kiesinger

Gegenüber der WAZ begrüßte Beate Klarsfeld eine mögliche Kandidatur für das Amt im Schloss Bellevue. Die ehemaligen Linke-Parteichefs Gregor Gysi und Oskar Lafontaine hatten sie schon einmal für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. „Dass ich es nicht bekomme, liegt wohl an der Ohrfeige für Bundeskanzler Kiesinger“, mutmaßt sie.

Beate Klarsfeld war 1968 weltbekannt geworden , als sie den damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) bei einem Parteitag auf offener Bühne für dessen frühere NSDAP-Mitgliedschaft ohrfeigte.

Eine Kandidatur seiner Frau hätte einen gewissen Reiz, ­sagte Serge Klarsfeld. Gegen den Kandidaten Gauck, der für die Aufar­beitung der Stasi-Vergangenheit stehe, stünde mit seiner Frau eine Kandidatin, die für die Aufarbeitung der Nazi-Zeit stehe.

Für die Linken ist Gauck „auf keinen Fall wählbar“

Die Linke will am Donnerstag über die Nominierung eines eigenen Kandidaten entscheiden. Klar ist: Joachim Gauck ist auf „keinen Fall“ wählbar. So lautet der einhellige Kommentar der Linken-Chefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst zur Präsidentschaftskandidatur von Joachim Gauck. Doch eine Ablehnung allein bringt wenig Ansehen, also wollen die Linken womöglich mit der eigenen Kandidatin Beate Klarsfeld einen Kontrapunkt setzen: Die Nazi-Jägerin gegen den bereits gesetzten Stasi-Jäger.

Ernsthaft gefährlich kann sie Joachim Gauck nicht werden, dafür sind die austarierten Mehrheiten in der Bundesversammlung zu eindeutig. Immerhin bringt die Linkspartei aber eine respektable Kandidatin ins Gespräch. Schließlich wurde Beate Klarsfeld über Jahrzehnte hinweg niemals müde, unbehelligte Nazi-Täter zu verfolgen – auch auf die Gefahr hin, selbst in die Mühlen der Justiz zu geraten, und zwar nicht nur 1968, als sie so couragiert Kanzler Kiesinger attackierte: Zunächst rief sie im Bonner Bundestag: „Nazi, tritt zurück“ und wurde abgeführt, aber wieder frei gelassen. Während des CDU-Parteitags in Berlin am 7. November 1968 bestieg sie das Podium, ohrfeigte Kiesinger und rief: „Nazi, Nazi!“ Klarsfeld wurde am selben Tag zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

1969 gab sie immer noch nicht auf und trat zum Bundestagswahlkampf gegen Kiesinger an – als Direktkandidatin der Partei „Aktion Demokratischer Fortschritt“.

Versuchte Entführung

In den Folgejahren wiesen Klarsfeld und ihr Mann Serge mit detaillierten Dokumentationen auf unbehelligt lebende Nazi-Täter hin, zum Beispiel Alois Brunner, Klaus Barbie, Ernst Ehlers oder Kurt Asche.

1971 versuchte das Paar, Kurt Lischka aus Deutschland zu entführen, um ihn der Justiz in Paris auszuliefern. Lischka war für die Deportation von 76.000 Menschen aus Frankreich verantwortlichen. Beate Klarsfeld wurde für die Aktion zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die Strafe wurde nach internationalen Protesten zur Bewährung ausgesetzt. Kriegsverbrecher Lischka blieb bis 1980 unbehelligt

Essener zu Gauck

René Willems (55):
René Willems (55): "Das muss jemand mit einer weißen Weste sein, der jetzt deutscher Bundespräsident wird. Auch bei uns in Holland wurde das Thema diskutiert. Ich denke, dass die Deutschen jetzt jemanden brauchen, der Ehrlichkeit ausstrahlt. Vielleicht ist Gauck der Richtige dafür."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Winfried Schiffer (56):
Winfried Schiffer (56): "Ich freue mich sehr, dass Joachim Gauck Bundespräsident werden soll, er ist mein Lieblingskandidat. Während die meisten Bundespräsidenten vor ihrem Amtsantritt unscheinbar waren, hat Gauck bereits jetzt eine enorme Präsenz. Aber auch für ihn ist das nun eine schwere Aufgabe." Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Thomas Synowietz (34):
Thomas Synowietz (34): "Ich frage mich, ob es überhaupt jemanden gibt, der das Amt erfüllen kann. Bei den Ansprüchen, die an den Bundespräsidenten gestellt werden, scheint das nahezu unmöglich. Es ist vielmehr ein moralisches als ein politisches Amt und dadurch noch schwieriger zu besetzen."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Gudrun Vosloh (64):
Gudrun Vosloh (64): "Gauck ist gut, eine Frau wäre aber besser gewesen. Ich finde, es wäre mal Zeit für eine Frau in diesem Amt. Von Joachim Gauck erhoffe ich mir, dass er es schafft, die noch immer in den Köpfen existierende Mauer zwischen Ost und West abzubauen. Wenn nicht er, wer dann?!" Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Susanne Mück (46):
Susanne Mück (46): "Ich bin überrascht und freue mich, dass Joachim Gauck Bundespräsident werden soll. Ich hätte nicht erwartet, dass er noch mal kandidiert. Sicherlich kann man erst später beurteilen, ob er der Richtige ist, aber mir war er schon vor zwei Jahren sympathischer" Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Dirk Schulze (51):
Dirk Schulze (51): "Mich wundert es, dass überhaupt jemand diesen Job noch machen möchte. Ob es jetzt Gauck wird oder ein anderer, dem neuen Bundespräsidenten wird doch jetzt ganz genau auf die Finger geschaut und damit wird es noch schwerer, dem Amt gerecht zu werden."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Nico Gregorius (19):
Nico Gregorius (19): "Souverän und ehrlich sollte der Bundespräsident sein. Man muss Vertrauen zu ihm haben können. Ich finde es schwierig, jetzt schon zu entscheiden, ob Joachim Gauck der Richtige dafür ist. Das wird sich so richtig erst zeigen, wenn er eine Weile im Amt ist."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Pascal Kaczorowski (18):
Pascal Kaczorowski (18): "Man ist es in Deutschland gewohnt, dass es einen Bundespräsidenten gibt, einen Mann da ganz oben - aber ist das heute noch sinnvoll? Ich weiß wirklich nicht, ob wir dieses Amt noch brauchen. Ich warte jetzt erstmal ab, wie sich Joachim Gauck so verhält." Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Kerstin Voss (43):
Kerstin Voss (43): "Joachim Gauck ist die richtige Wahl, weil er kein Politiker ist. Außerdem ist er Pfarrer, das finde ich auch gut. Ich wünsche mir, dass er sich in dem Amt besser bewährt als Christian Wulff und nicht seine eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund stellt." Foto: Sebastian Konopka / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool
Sven Küpper (34):
Sven Küpper (34): "Joachim Gauck tritt ein auf jeden Fall ein schweres Erbe an. Fast scheint es, als gäbe es zwei Arten von Politikern: Jeder hat irgendwie eine Leiche im Keller; da gibt es die, die Glück haben und nichts entdeckt wird und die, bei denen alles aufgedeckt wird."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
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