Essen. Der Rücktritt von Christian Wulff als Bundespräsident ist folgerichtig, denn der Mann war für das höchste Amt im Staat offensichtlich nicht geeignet. Doch auch die Kanzlerin muss sich einen Vorwurf gefallen lassen: Warum hat sie Wulff vor seinem Amtsantritt nicht gefragt, wie es um seine Vergangenheit bestellt sei? Ein Kommentar.

Was waren Christian Wulffs größte Fehler? Der allergrößte war ein handwerklicher: Weshalb konnte Wulff bei dieser Vergangenheit überhaupt glauben, er tauge zum Staatsoberhaupt? Leider hat ihm die Kanzlerin folgende einfache, aber entscheidende Frage nicht gestellt: Christian, kann da was kommen aus deiner Vergangenheit?

Wulff hat ja diese vielen kleinen und weniger kleinen Bereicherungen verschwiegen oder beschönigt, weil er instinktiv wusste, sie dürfen nicht heraus kommen. Ein jeder, der in die Politik geht, muss aber damit rechnen, dass öffentlich wird, was geheim bleiben sollte. Es gibt immer Spuren, es gibt Mails, es gibt Verabredungen, es gibt Dokumente. Im Zweifelsfall lässt sich eine Vergangenheit immer aufblättern. Gut dran ist dann nur der, der nichts zu verbergen hat. Christian Wulff hatte aber, wie wir heute wissen, eine Menge zu verbergen.

Die potenziellen Nachfolger Wulffs

Joachim Gauck - hohes Ansehen über alle Parteien hinweg

Der studierte Theologe Joachim Gauck war Bürgerrechtler in der DDR und saß in der letzten, der einzigen frei gewählten DDR-Volkskammer. Der 61-jährige Rostocker leitete zehn Jahre lang die Stasi-Unterlagenbehörde und machte sich als Publizist einen Namen. Seine Kandidatur für SPD und Grüne für das Präsidentenamt 2010 brachte ihm über die Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen ein.

Norbert Lammert - Querdenker im Bundestag

Bundestagspräsident Norbert Lammert gilt in der CDU als unabhängiger und manchmal unbequemer Kopf. Der 63-jährige promovierte Sozialwissenschaftler aus Bochum wird als geschliffener und oft humoriger Redner geschätzt. Bereits 2010 wurde ihm ein persönliches Interesse an dem Präsidentenamt nachgesagt.

Katrin Göring-Eckardt - Kandidatin mit kirchlichem Hintergrund

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt aus Thüringen genießt als langjährige Vizepräsidentin des Bundestags parteiübergreifend Respekt. Die 45-Jährige war beim Umbruch 1989 in DDR als Bürgerrechtlerin aktiv und ist Gründungsmitglied von Demokratie jetzt und Bündnis 90. Erstmals wurde die studierte Theologin 1998 in den Bundestag gewählt, ihre Schwerpunkte sind die Sozial- und Familienpolitik. 2009 wurde die Mutter von zwei Kindern zur Präses der Synode der Evangelischen Kirche gewählt.

Wolfgang Schäuble - das Urgestein der Union

Wolfgang Schäuble ist Urgestein der CDU und hat langjährige Erfahrung in Partei- und Ministerämter. Er war einst der aussichtsreiche und hoch gehandelte Nachfolger Helmut Kohls im Kanzleramt - was dieser allerdings verhinderte. Der promovierte Jurist aus Freiburg wird im Oktober 70 Jahre alt. Seit 2009 ist Schäuble Bundesfinanzminister.

Ursula von der Leyen - ehrgeizig, erfolgreich, unangepasst

Die Niedersächsin Ursula von der Leyen gilt als ehrgeizig und zielstrebig. Dabei scheut die 53-jährige Ärztin auch nicht den Konflikt mit der Union und Kabinettskollegen, wie ihre Positionen zu Betreuungsgeld und Frauenquote zeigen. Im Frühjahr 2010 kokettierte sie noch mit der Rolle als mögliche Kandidatin - wurde jedoch von Merkel ausgebremst.

Klaus Töpfer - der internationale Umweltschützer

Auch der Name des international anerkannten Umweltpolitikers Klaus Töpfer ist wieder im Rennen. Der gebürtige Schlesier hatte für die CDU bereits zahlreiche Partei- und Regierungsämter innegehabt, als er die Bundespolitik 1998 gegen den Posten als Chef des UN-Umweltprogramms UNEP tauschte. Im vergangenen Jahr leitete er die Ethikkommission, die Empfehlungen zum Atomausstieg erarbeitete. Er wäre möglicherweise akzeptabel im Lager von Koalition und Opposition, mit 73 Jahren aber auch ein Kandidat in Rentenalter.

Thomas de Maizière - Merkels Geheimwaffe

Verteidigungsminister Thomas de Maizière gilt als Merkels geheime Reserve und deshalb eigentlich als unabkömmlich in der Bundesregierung. Der promovierte 57-jährige Jurist aus Bonn kann auf jahrelange Erfahrung in Landes- und in der Bundesregierung für die CDU zurückblicken.

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Wullfs Schwäche für den großen Auftritt wirkte als Verstärker

Seine Amtsmüdigkeit als niedersächsischer Ministerpräsident hat Wulff, als er plötzlich nach Horst Köhlers Rücktritt die Chance auf einen nächsten, glanzvolleren Karriereschritt sah, die Sinne getrübt. Wie ein Verstärker wirkte Wulffs ganz persönliche Schwäche für den großen öffentlichen Auftritt. Offenbar brauchte er das für sein Ego. Natürlich schmeichelt es dem eigenen Ego, wenn man als Wohnsitz "Schloss Bellevue" angeben kann. Wenn man anrufen kann, wen man will, und erreicht denjenigen auch. Schließlich das Publikum. Man kennt diese berauschende Wirkung von Pop- oder Rockstars, Die auf der Bühne stehen, kreischende Fans zu ihren Füßen. Gewiss: Bei einem Staatsoberhaupt mag es gesitteter zugehen als bei Bühnenhelden, aber der Impuls ist doch derselbe.

Und dann war da noch dieser ganz alte Fehler, der Irrglaube, die unangenehmen Dinge schlicht aussitzen zu können. Erledigen durch Geduld und eine bemerkenswerte Härte zu sich selbst, verbunden mit der Hoffnung, irgendwann werde das Publikum sich dem nächsten Thema zuwenden. Das funktioniert aber nur unter zwei Bedingungen. Erstens: Es darf nichts mehr kommen. Zweitens: Der Betroffene macht einen untadelig guten Job. Beide Bedingungen hat Christian Wulff nicht erfüllt.

Wulff hat sich zuallererst selbst zur Strecke gebracht

Welche Rolle haben die Medien gespielt? Haben sie den Bundespräsidenten zur Strecke gebracht? Man sollte Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Wulff hat sich zuallererst selbst zur Strecke gebracht. Medien vorzuwerfen, recherchiert zu haben ist, wie dem Hund vorzuhalten, er interessiere sich für Knochen. Und dennoch werfen viele Menschen den Medien vor, übertrieben zu haben. Das liegt zum einen am Staatsamt, das niemand beschädigt sehen will. Zum anderen an der Kleinteiligkeit von Wulffs Vergehen, von denen ein Einzelnes kaum taugt als Rücktrittsgrund. In der Summe aber haben sie sich zu einem hässlichen Bild von einem Spitzenpolitiker addiert, der für das höchste Spitzenamt nicht taugte.