Berlin. . Die Staatsanwaltschaft Hannover will gegen den Bundespräsidenten ermitteln. Die Wulff-Gegner schießen jetzt scharf. SPD und Grüne fordern den Rücktritt. Auch die Koalition müsse für die Aufhebung seiner Immunität stimmen, hieß es. Der Druck auf Wulff wird immens.
Nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover auf eine Aufhebung der Immunität von Bundespräsident Christian Wulff werden neue Rücktrittsforderungen gegen das Staatsoberhaupt laut. „Jetzt reicht es“, schimpfte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, „Christian Wulff muss zurücktreten.“ Oder sollten etwa Staatsanwälte demnächst Schloss Bellevue durchsuchen? Ströbele war einer der wenigen Politiker in Berlin, die nach der überraschenden Nachricht von bevorstehenden strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Bundespräsidenten schnell ihre Sprache wieder fanden.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin erklärten später, Wulff müsse jetzt "mindestens sein Amt ruhen lassen". Die Grünen würden dazu beitragen, dass Wulffs Immunität "zum frühstmöglichen Zeitpunkt" aufgehoben werde.
Das politische Berlin war weitgehend schockiert. Erst nach intensiven Beratungen wagte sich auch die SPD-Spitze nach vorn, forderte vorsichtig den Rücktritt.
„Das gab’s noch nie“
„In meinen Augen ist eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung mit dem Amt unvereinbar“, meinte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, „das gab’s noch nie.“
Tatsächlich betritt die Republik in der ohnehin einmaligen Affäre um das Staatsoberhaupt Neuland: Noch nie ist gegen einen Bundespräsidenten strafrechtlich ermittelt worden. Jetzt ist klar: Am 27. Februar oder ein paar Tage später ist es wohl so weit – dann dürfte der Bundestag zum ersten Mal die Immunität eines Staatsoberhauptes aufheben.
Dass das Parlament dem Antrag der Staatsanwaltschaft zustimmt, wurde auch in Koalitionskreisen erwartet. Der niedersächsische CDU-Fraktionschef Bernd Thümler gab tapfer die Parole aus, das Ermittlungsverfahren werde dazu beitragen, die Vorwürfe gegen Wulff auszuräumen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Meister,
rechnet mit der Aufhebung der Immunität. "Das wäre dann eine völlig neue Situation, die wir
noch nie hatten", sagte der CDU-Politiker dem
"Tagesspiegel". "Die Frage ist dann, ob Christian Wulff glaubt, damit umgehen zu können, das muss er aber
selbst beantworten", sagte Meister.
Der Druck wird immens
Die Opposition macht ohnehin Druck: „Die SPD wird diesen Antrag befürworten. Ich rechne damit, dass auch die Koalition dem zustimmen wird“, meinte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. „Der Bundestag muss schließlich sicher stellen, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind.“ Aber lässt es Wulff überhaupt so weit kommen – oder tritt er vorher zurück? Seine Strategie des „business als usual“ wird nicht mehr funktionieren, so viel ist klar, der Druck wird immens.
Wochenlang hatte Wulff allen Vorwürfen wegen Privatkrediten, kostenlosen Urlauben oder günstigem Autoleasing getrotzt, auch die Staatsanwaltschaft hatte stets einen Anfangsverdacht etwa wegen Vorteilsannahme abgelehnt.
Keine Weisung von oben
Die neuen Vorwürfe, vor allem wegen eines Sylt-Urlaubs mit dem Filmunternehmer David Groenewold, haben das Fass nun zum Überlaufen gebracht. Die Entscheidung, gegen Wulff zu ermitteln, hat die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben „unabhängig nach intensiver kollegialer Beratung getroffen.“ Weisungen von vorgesetzten Behörden habe es nicht gegeben. Doch ist es wohl auch der niedersächsischen Landesregierung nicht mehr unrecht, dass die Causa Wulff jetzt so oder so zu einem Ende kommt – Ministerpräsident David McAllister (CDU) fürchtet längst, die schwelende Affäre werde ihm die Landtagswahl in elf Monaten verhageln.
Die Staatsanwaltschaft stand zuletzt aber auch unter öffentlichem Druck: „Gegen einen einfachen Beamten wäre längst ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden“, schimpfte gestern etwa der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Bernd Witthaupt.
Beschädigungen ohne Ende
Das hatte Wulff so wohl nicht eingeplant: Der Bundespräsident, gerade von einer Italien-Reise zurückgekehrt, wollte am kommenden Donnerstag in Berlin die große Rede zur Gedenkfeier der Neonazi-Mordopfer halten. Drei Tage später wollte er zu einer längeren Afrika-Reise aufbrechen. Aber dass er im Ausland unterwegs ist, während das Parlament seine Immunität aufhebt, ist kaum vorstellbar.
Wieder steht die Frage: Wie sehr wird das Amt beschädigt, wie lange hält der Präsident das aus? „Ermittlungen können auch zugunsten Wulffs ausgehen“, hieß es beschwichtigend in der Unionsfraktion. Aber es wird ja kein Ende mehr nehmen. Während die Republik in den nächsten Tagen über die Ermittlungen debattiert, wird Wulff am Montag zur großen Lachnummer der Rosenmontags-Züge. (Mit Material von dapd/afp)