Düsseldorf. . Die SPD in Nordrhein-Westfalen macht neuen Mitgliedern ein Angebot: Wer gerade erst in der Partei angekommen ist, kann sich im Neumitgliederseminar ans Parteileben gewöhnen. Das Konzept geht auf, die Nachfrage ist groß.Viele der Seminaristen engagieren sich hinterher in Ortsvereinen und Unterbezirken.

Zu Willy Brandts Zeiten musste die SPD nicht lange rufen. Neue Mitstreiter kamen von ganz allein. Heute, 40 Jahre später, ist politischer Nachwuchs kostbar. Die Volksparteien sind geschrumpft, ihr Personal im Schnitt um die 60. Da liegt es nahe, neu Eingetretene besonders zu umgarnen. Die SPD in NRW macht das seit 2009 in speziellen Neumitgliederseminaren. Das ist ein Schnellkurs Sozialdemokratie mit der Botschaft: Schön, dass Ihr da seid!

16 Männer und vier Frauen sitzen in einer Runde. Man beschnuppert sich, man stellt sich vor, trägt Namensschilder. Bunter könnte eine Gesellschaft kaum sein. Studenten sind dabei und Grauhaa­rige, eine Frau mit Migrationshintergrund sitzt hier, ein Ingenieur, ein Personalberater. Ein Neumitglied trägt Schlips, ihm gegenüber sitzt einer mit Kapuzenpulli.

Die Motivation der Neu-Sozialdemokraten ist sehr unterschiedlich

Die Motive der Leute sind so unterschiedlich wie ihr Outfit. Auf blaue Pappschilder schreiben sie, warum sie sich auf das Abenteuer ­Partei einlassen. „Zwei-Klassen-Medizin abschaffen“ steht auf einem Kärtchen, „Leute kennen lernen“ auf einer anderen. Ein Wunsch hätte Ferdinand Lassalle, den Gründervater, strahlen lassen: „Dem Kapital Grenzen aufzeigen“.

2009 war ein hammerhartes Jahr für Sozialdemokraten. Selten hatte die Partei so eine bittere Niederlage einstecken müssen. Aber: Die Bundestagswahl hatte einen Neben­effekt: „Es ging auf einmal mit den Mitgliederzahlen nach oben“, sagt Thorsten Rupp, in der SPD zuständig für „Parteileben“. Als „Mitleideffekt“ will Rupp das nicht verstehen. Er redet von „Trotzreaktion“. Im August 2009 entschieden sich in NRW 540 Männer und Frauen für die SPD, im Wahlmonat September waren es 1020, im Oktober 850. In der kurzen „Boomphase“ wurden diese Seminare geboren. Das Ziel: zur Mitarbeit animieren. Denn ein Mitglied, das nicht mitmacht, bringt der Partei zwar Geld, aber keine Ideen und erst recht kein Leben.

Motiv: Gerechtigkeit

Eine der ersten Lektionen: Sozialdemokraten sagen nicht Sie zueinander, sondern Du. Die vertrauliche Anrede unter Fremden geht nicht jedem gleich über die Lippen, aber es ist ja noch früh am Tag. Der Schnellkurs Sozialdemokratie ist auch ein Grundkurs Parteisprache. Wer weiß schon, was mit „AsF“ gemeint ist? Am Ende kennt jeder die „Arbeits­gemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ (AsF), weiß, was ein Unterbezirk ist, was Delegierte machen und wie man einen Antrag einbringt.

Sven Wolf, Landtagsab­geordneter aus Remscheid, stellt sich den Fragen der ­Neuen, und die machen es ihm schwer. „Wofür stehst du denn?“, will Thomas Wagner-Synagowitz wissen. Wolf rutscht auf dem Stuhl, überlegt eine Weile und stellt fest: „Das ist ja eine ganz breite Frage.“ – „Dann mach’s schmaler“, rät ihm Wagner mit der ­Schnörkellosigkeit des Ruhris.

"Sprecht immer so, dass die Leute euch auch verstehen"

Wagner (47), geerdet in Dortmund-Scharnhorst, war schon mal Genosse. Schröders Agenda-Politik hatte ihn, wie Tausende andere, aus der SPD gespült. Nun will er’s noch mal wissen, weil Schwarz-Gelb ihm auf die Nerven geht. So ganz traut Wagner dem Braten aber nicht: „Was ist, wenn Steinbrück Kanzlerkandidat wird?“ Da klingt die Sorge durch, dass ein bisschen Schröder bald wieder durch die Hintertür reinkommen könnte. Sein Favorit heißt Gabriel. Aber egal, diesmal will er der Partei treu bleiben.

„Die Gründe, warum Menschen in Parteien eintreten, liegen entweder in Familie und Freundeskreis, oder es gibt eine Grundsympathie, zu der ein spezieller Auslöser kommt“, weiß Thorsten Rupp. Bei Marion Hangebrock (52) aus Schwerte war es die Familie. Ihr Opa, einst Stahlarbeiter in Hörde, war schon Sozialdemokrat, ihr Sohn ist es auch. „Er meinte: Mama, den Roten geht es schlecht, die brauchen dich! Da bin ich in den Weihnachtsferien eingetreten. Ich bin wohl eine Spätberufene“, erzählt sie. Worum es ihr geht? Um das, was Hangebrock zufolge diese Partei seit 150 Jahren umtreibt: „Gerechtigkeit“.

Derweil löchern die frisch gebackenen Sozialdemokraten den Abgeordneten Sven Wolf mit Fragen. Zum Beispiel, ob im Landtag SPD-Politiker sitzen, die „mal bei Ford am Band gestanden haben“. Einige Betriebsräte seien schon dabei, beteuert Wolf, und er hat einen guten Rat für die Nachwuchs-Politiker. „Sprecht immer so, dass die Leute euch auch verstehen!“ Die Basis nickt und denkt: Hoffentlich machen die an der Spitze das genauso.