Berlin. . Auch sieben Jahre nach dem Hartz-IV-Start reißen die Klagen gegen die Sozialgesetze nicht ab. Beim größten deutschen Sozialgericht in Berlin gegen weiter tausende neue Klagen im Monat ein. Das Gericht sieht die Schuld beim Gesetzgeber und bei den Jobcentern.
Die Klageflut vor dem größten deutschen Sozialgericht hält unvermindert an. Im Januar werde die 150.000. Hartz-IV-Klage seit Inkrafttreten des umstrittenen Arbeitsmarktgesetzes vor sieben Jahren eingehen, sagte die Präsidentin des Berliner Sozialgerichts, Sabine Schudoma, am Mittwoch bei der Vorstellung der Jahresbilanz 2011.
Die Richterin kritisierte den Gesetzgeber und die Jobcenter. Nach Ansicht der Präsidentin könnten bessere Gesetze, aber auch eine bessere Kommunikation der Arbeitsämter mit den Arbeitslosen die anhaltende Klageflut eindämmen. Das sogenannte Hartz-IV-Gesetz trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Damals wurden Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu einer Grundsicherung für erwerbsfähige Personen vereinheitlicht.
Zahl der Richter mehr als verdoppelt
Das Berliner Gericht ist das größte seiner Art in Deutschland. Dort arbeiten zurzeit 127 Richter, 2005 waren es nur 55. Ein Verfahren dauert den Angaben zufolge durchschnittlich zwölf Monate, ein Hartz-IV-Verfahren zehn Monate. Damit gehört das Gericht nach Angaben Schudomas zu den am schnellsten arbeitenden Sozialgerichten in Deutschland.
Monatlich gehen den Angaben zufolge durchschnittlich etwa 3.600 neue Fälle ein. Die Hälfte aller Klagen betrifft mit Hartz IV zusammenhängende Probleme. Kaum Streit gebe es hingegen über das Anfang 2011 eingeführte Bildungspaket.
Laut Schudoma gibt es derzeit über 40.000 offene Verfahren am Sozialgericht. Um diesen Aktenberg abzutragen, müsste theoretisch ein Jahr am Stück gearbeitet werden - ohne dass neue Fälle hinzukommen dürften.
Unverständliches Bürokratendeutsch in den Schreiben
Viele Klagen wären nach Ansicht Schudomas bei einer besseren Kommunikation der Arbeitsämter mit ihren Klienten vermeidbar. Zwar leisteten die Mitarbeiter der Jobcenter eine kompetente und engagierte Arbeit. Allerdings fehle oft das direkte Gespräch. „Da ist zunächst nur viel Papier im Austausch“, bemängelte die Präsidentin. Den Entscheidungen fehle die Transparenz.
Vielfach seien die ablehnenden Antworten bei Streitigkeiten unverständlich formuliert. Sie forderte auch eine Reform der bisherigen Gebührenregelung, die die Jobcenter seit 2006 auch im Falle einer Niederlage oder eines Vergleichs von Kosten befreit. „Wenn die Jobcenter die Gerichtsgebühren zahlen müssten, bestünde ein Anreiz, besser zu arbeiten“, argumentierte Schudoma. Widerspruchsverfahren hätten eine wichtige „Filterwirkung“.
Vorschlag: Jobcenter sollen Gerichtsgebühren zahlen
Allerdings litten viele Jobcenter unter Personalmangel, was wiederum zu Klagen wegen überzogener Bearbeitungsfristen führe. Ein Verfahren mit Urteil kostet laut Gericht 150 Euro, ein unstreitig erledigter Fall 75 Euro.
Nach wie vor seien die Klagen sachlich begründet, sagte Schudoma. „Kein Kläger bläst zum Angriff auf das Sozialsystem.“ Es gehe vor allem um Kosten für die Unterkunft, die Anrechnung von Einkommen auf Leistungen, Leistungskürzungen nach Sanktionen und verletzte Bearbeitungsfristen. (dapd)