Berlin. In der eigenen Partei sorgt der Rücktritt von FDP-Generalsekretär Christian Lindner für Aufregung. Der NRW-Landesverband bedauert den Schritt, FDP-Urgestein Burkhard Hirsch spricht von einem Fehler. Der frühere Innenminister Gerhart Baum geht weiter: Er fordert den Rücktritt von Parteichef Rösler.
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum fordert nach dem Abgang von FDP-Generalsekretär Christian Lindner den Rücktritt der gesamten FDP-Führungsspitze. Es gehe jetzt auch um Parteichef Philipp Rösler und die gesamte Führung der FDP, sagte Baum am Mittwoch in mehreren Fernsehinterviews. "Die Partei ist in einer Lebensgefahr wie nie zuvor. Das verlangt radikale Entscheidungen", sagte der frühere FDP-Spitzenpolitiker dem Sender Phoenix. "Ich bin der Meinung, das Präsidium der FDP muss jetzt seine Ämter zur Verfügung stellen, muss sich neu zur Wahl stellen. Es ist eine Führungskrise in der FDP", so Baum weiter. Das FDP-Präsidium könne nicht zur Tagesordnung übergehen.
Rücktritt Lindners sei "Misstrauensvotum gegen Parteichef Rösler"
"Ich bin wirklich betrübt, dass einer der wichtigsten Hoffnungsträger in der Führung der FDP resigniert", sagte der frühere Innenminister. Er wertete Lindners Schritt auch als Misstrauensvotum gegen Parteichef Philipp Rösler. Lindner sei es seiner Erklärung zufolge offensichtlich nicht ermöglicht worden, eine neue Dynamik zu entfalten, sagte Baum.
Lindner war am Morgen zurückgetreten und hatte den Schritt als Auftakt zu einer Neuaufstellung der Partei bezeichnet. Es gebe den Moment, "in dem man seinen Platz frei machen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen", sagte der 32-Jährige. Lindner war seines Vorgehens beim Mitgliederentscheid zum ESM in die Kritik geraten. Allerdings hatte auch Rösler in seiner Partei Unmut ausgelöst, weil er mehrere Tage vor Fristende erklärt hatte, das Quorum werde wohl nicht erreicht.
Die bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat den Rücktritt des Generalsekretärs als "Schock" für die Partei bezeichnet. Die FDP sei in einer "sehr schwierigen Situation", erklärte die stellvertretende Bundesvorsitzende am Mittwoch in München. Sie wolle mit ihren Parteikollegen nun alles dafür tun, dass die Liberalen "aus dem Tal der Tränen" wieder herausfinden, sagte die Bundesjustizministerin.
FDP ist seit Monaten im Umfrage tief
Die FDP liegt seit Monaten in Umfragen weit unter der Fünf-Prozent-Hürde und würde den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen, wenn am Sonntag gewählt würde. (Reporter:Thomas Krumenacker, redigiert von Klaus-Peter Senger)Der Euro-Skeptiker Burkhard Hirsch (FDP) hat den Rückzug von FDP-Generalsekretär Christian Lindner kritisiert. "Ich halte die Entscheidung nicht für richtig", sagte der Mitinitiator des Mitgliederentscheids im TV-Sender Phoenix. Hirsch bezeichnete Lindner als "eine der Hoffnungen der Liberalen" und sagte: "Ich wünsche und hoffe, dass er weiter der Partei zur Verfügung steht."
Hirsch zeigte sich überzeugt, dass nicht parteiinterner Druck rund um den Mitgliederentscheid "alleine der Anlass für einen derartig spektakulären Schritt" sei. "Das muss einen anderen Grund haben als die Auseinandersetzung der letzten Tage", mutmaßte Hirsch.
NRW-FDP bedauert Lindners Rücktritt
Der Chef der Liberalen in der Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen, Gerhard, Papke, bedauert den Rücktritt Lindners. „Der Rücktritt von Christian Lindner als Generalsekretär bedeutet eine substantielle Schwächung in der Führung der FDP", sagte Papke. Es sei "zutiefst bedauerlich", dass Lindner sich zu diesem Schritt gezwungen sah. "Christian Lindner hat als Generalsekretär großartige Arbeit geleistet."
NRW-FDP-Chef Daniel Bahr äußerte sich ebenfalls enttäuscht über den Rücktritt Lindners. "Ich bedaure diesen Schritt menschlich und politisch. Seine gute Arbeit als Generalsekretär der FDP habe ich jederzeit geschätzt und unterstützt", sagte der Bundesgesundheitsminister am Mittwoch.
"Als Vorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen und auch persönlich danke ich ihm für seinen Einsatz für die Liberalen in diesen nicht einfachen Zeiten", sagte Bahr über den NRW-Liberalen Lindner.
EU-Abgeordneter nennt Rücktritt "großen Verlust"
Der FDP-Europaparlamentarier Alexander Alvaro hat den Rücktritt von FDP-Generalsekretär Christian Lindner als großen Verlust bewertet. Er halte diesen Schritt Lindners für "mehr als bedauernswert", sagte das Mitglied im FDP-Bundesvorstand am Mittwoch der Nachrichtenagentur dapd und fügte hinzu: "Ich halte ihn für falsch."
Trotz seiner jungen Jahre sei der 32-jährige Lindner mit seinen intellektuellen seinen organisatorischen Fähigkeiten sowie seiner Kreativität eine extrem gute Besetzung für den Posten gewesen. Er hoffe, dass Lindner der Partei weiter in einer aktiven Rolle erhalten bleibe, sagte Alvaro.
Bundestagsabgeordneter nennt Lindners Verhalten "inakzeptabel"
Der Sprecher der ostdeutschen FDP-Landesgruppe im Bundestag, Joachim Günther, sieht seine Partei nach dem Rücktritt von Generalsekretär Christian Lindner in einer Existenzkrise. "Es geht um das Überleben der Partei und nicht um die Eitelkeit einzelner Personen", sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete aus Plauen am Mittwoch. Günther kritisierte das Verhalten Lindners beim Euro-Mitgliederentscheid. Es sei "nicht akzeptabel" gewesen, dass er den vermeintlichen Ausgang des Mitgliederentscheids schon vor dessen Beendigung kommentiert habe, sagte der sächsische FDP-Politiker.
SPD sieht FDP-Chef Philipp Rösler schwer angeschlagen
De SPD sieht nach dem angekündigten Rücktritt von FDP-Generalsekretär Christian Lindner auch Parteichef Philipp Rösler schwer angeschlagen. "Herr Lindner ist ein Bauernopfer, um Herrn Rösler noch ein paar Tage im Amt zu halten", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, am Mittwoch in Berlin.
Auch Rösler trage eine Mitverantwortung für die Mitgliederentscheidung über die weitere Unterstützung des Euro-Rettungsschirms ESM. Lindner will seinen Rücktritt nach Angaben aus Parteikreisen am Vormittag erklären. Ihm wurde die Verantwortung für die Pannen bei der Organisation des Mitgliederentscheids gegeben.
Grüne kritisieren Christian Lindner
Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke hat den zurückgetretenen FDP-Generalsekretär Christian Lindner scharf kritisiert. "Herr Lindner hat keinerlei Verantwortung für das Desaster des Mitgliederentscheids übernommen", sagte Lemke am Mittwoch in Berlin mit Blick auf die am Dienstag beendete Abstimmung über die FDP-Position in der Euro-Krise.
Der Parteivorsitzende Philipp Rösler müsse nun alleine dafür gerade stehen, sagte Lemke weiter. Lindner versetze der "schwindsüchtigen" Partei mit seinem Abgang noch einen Fußtritt, fügte Lemke hinzu. Lindner war am Mittwoch überraschend von seinem Amt zurückgetreten.
Rücktritt spielt im Bundeskabinett keine Rolle
Der Rücktritt von FDP-Generalsekretär Christian Lindner hat im Kabinett keine Rolle gespielt. "Nein, das Bundeskabinett konzentriert sich wie jeden Mittwoch auf die Arbeit, die die verschiedenen Ressorts machen, auf die Arbeit der Bundesregierung, damit hat der Rücktritt von Herrn Lindner gar nichts zu tun", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Lindner gab seinen Rücktritt offiziell auf einer Pressekonferenz bekannt, die nach der Kabinettssitzung stattfand.
Auf die Frage, ob Lindner Kanzlerin Angela Merkel (CDU) informiert habe, sagte Seibert: "Nach meiner festen Überzeugung hatte Herr Lindner kein Regierungsamt. Deswegen ist er ja auch gar nicht verpflichtet, die Bundeskanzlerin über innerparteiliche Maßnahmen der FDP zu informieren." Er wisse von keinem Gespräch Merkels mit Lindner.
Seibert verwies aber darauf, dass sich die Kanzlerin vor jedem Kabinett mit Vize-Kanzler und FDP-Chef Philipp Rösler zu einem kurzen Gespräch treffe. (dapd, rtr, afp)