Brüssel. Bundeskanzlerin Merkel hat beim Ringen um eine gemeinsame Haushaltspolitik in Europa ihre Vorstellungen in wichtigen Punkten durchsetzen können. Doch der Preis könnte hoch sein: Die EU droht daran zu zerbrechen.

In zehnstündigen Verhandlungen auf dem EU-Gipfel hat es keine Zustimmung aller 27 EU-Länder zu Vertragsänderungen gegeben. Die 17 Euro-Länder wollen sich aber zu verbindlicher Haushaltsdisziplin verpflichten. Zudem sollen die Krisenmittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgestockt werden.

Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin

Eine Zustimmung aller 27 EU-Länder zu einer Änderung der EU-Verträge ist nicht erreicht worden. Großbritannien und Ungarn lehnten das deutsch-französische Vorhaben ab. Den Kern eines nun zwischenstaatlich zu schließenden Vertrags für Haushaltsdisziplin bildet die Eurozone. Die Nicht-Euro-Länder Schweden und Tschechien müssen vor einer Beteiligung an den Verhandlungen noch ihre nationalen Parlamente befragen. Die restlichen sechs EU-Länder wollen sich an den Beratungen beteiligen. Wie die Verpflichtungen zum soliden Wirtschaften genau vertraglich verankert werden, müssen nun Rechtsexperten klären. Die Verhandlungen sollen im März abgeschlossen sein.

Inhalt des Vertrages

Die Vereinbarung sieht zumindest für die Euro-Länder gesetzlich festgeschriebene Schuldenbremsen und automatische Strafen für Defizitsünder vor. Die EU-Kommission soll die Grundsätze der Schuldenbremse festlegen, der Europäische Gerichtshof deren Umsetzung in nationales Recht überprüfen. Bei einem Verstoß gegen die Defizitregeln sollen quasi automatisch Sanktionen greifen, die nur mit qualifizierter Mehrheit abgewendet werden können. Erwogen wird zudem, dass die EU-Kommission die Haushaltsentwürfe der nationalen Regierungen prüft.

Eurobonds

Gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Länder sind nicht beschlossen worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich im Vorfeld gegen die sogenannten Eurobonds ausgesprochen.

Euro-Rettungsschirm

Der künftige dauerhafte Euro-Rettungsfonds ESM soll nun Mitte 2012 einsatzfähig sein, anstatt wie bisher geplant im Jahr 2013. Der bisherige Rettungsfonds EFSF soll für eine Übergangszeit zunächst fortbestehen. Im März 2012 wollen die Euro-Länder prüfen, ob die verfügbare Gesamtsumme in beiden Fonds von höchstens 500 Milliarden Euro nicht doch angehoben wird. Eine Aufstockung lehnt Deutschland bislang ab. Entscheidungen über Finanzhilfen sollen künftig nicht mehr einstimmig, sondern mit einer Mehrheit von 85 Prozent gemessen an dem Beitragsschlüssel getroffen werden. Dadurch soll vermieden werden, dass kleine Länder wichtige Entscheidungen verhindern. Deutschland hat das größte Stimmgewicht und kann die Vergabe von Hilfsgeldern blockieren.

Zugang des Fonds zu EZB-Krediten

Zugang zu Krediten der Europäischen Zentralbank (EZB) erhält der ESM nicht. Auch in diesem Punkt setzte sich Merkel durch. Mit einer Banklizenz hätte sich der Fonds Geld bei der Zentralbank leihen können. Dieses Modell könnte aber zu Inflation führen, wenn die EZB dafür die Notenpresse anwerfen muss. Zudem ist eine solche Finanzierung von Staaten durch die EZB verboten.

Kredite an den IWF

Als kurzfristige Antwort auf die Schuldenkrise wollen die EU-Länder bis zu 200 Milliarden Euro für die Krisenbekämpfung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Form von bilateralen Krediten bereitstellen. Der Idee zufolge stellen die Notenbanken der EU-Länder dem IWF das Geld bereit, damit dieser damit Hilfen für Euro-Krisenländer finanziert. Eine endgültige Zusage der EU-Länder soll in zehn Tagen erfolgen.

Private Gläubiger

Eine Beteiligung privater Gläubiger wie Banken an einem Schuldenschnitt für angeschlagene Euro-Länder wie im Fall von Griechenland soll es in Zukunft nicht mehr geben. Grund ist die dadurch ausgelöste Verunsicherung auf den Märkten. Bei Staatspleiten soll künftig nach den Regeln des IWF vorgegangen werden, damit für die Euro-Länder nicht strengere Bestimmungen als im Rest der Welt gelten - und Investoren so vom Kauf von Staatsanleihen der Euro-Länder abgeschreckt werden.

Fazit:

"Ich glaube, wir haben ein sehr, sehr wichtiges Ergebnis", schrieb Merkel den Aktienhändlern noch ins Stammbuch, auf dass sie es an den Börsen Anfang kommender Woche auch begreifen: Die EU hat die Warnungen von Experten und Ratingagenturen begriffen. Formelkompromisse wurden vermieden. Die Schulden sollen effektiv bekämpft werden.

Nur, dass es eben nicht mehr die Europäische Union ist, die da handelt. Statt dessen werden sich die Bürger an das vergleichsweise hässliche Wort "Fiskalunion" gewöhnen müssen. Dahinter stehen die 17 Staaten der Euro-Gruppe plus mindestens sechs weitere Kandidaten, die zum Beispiel deshalb mitmachen, weil sie bald selbst den Euro einführen wollen.

Die "17 plus 6" planen, einen "zwischenstaatlichen Vertrag" abzuschließen, ein Konstrukt und Wortgebilde, auf das man wohl auch nur im Bürokraten-Raumschiff Brüssel kommt. Ob solch ein Vertrag juristisch haltbar ist, das war am Freitagmorgen noch längst nicht klar, die Einschätzungen gingen auch bei den Brüsseler Institutionen weit auseinander.

Möglicherweise droht Merkel auch Ungemach im eigenen Land. Eine Zustimmung des Bundestages zu diesem Vertrag könnte - auch das gilt es noch zu prüfen - eventuell notwendig sein. Inklusive der Gefahr, dass deutsche Abgeordnete in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht klagen und die ganze Sache noch verzögern. Ob bei den Märkten tatsächlich das erhoffte Signal der Stärke ankommt, angedrohte Herabstufungen zurückgenommen werden - ganz sicher ist das im Morgengrauen keineswegs.

Gänzlich unabsehbar sind die Auswirkungen auf die Europäische Union. Die "Idee Europa, die Zukunft des Kontinents", wie es Altkanzler Helmut einmal überschrieb, sie steht zumindest auf der Kippe. Denn es ging auch ein anderes Signal von Brüssel aus: Wenn wir uns alle nicht einigen können, dann machen eben ein paar alleine weiter.

Dieses Beispiel allerdings könnte Schule machen, Streitpunkte gibt es in der EU schließlich genug. Spalten statt zu diskutieren, absondern statt um eine Einigung zu ringen - das könnte der Anfang vom Ende der EU sein. (afp/dapd))