Berlin. . Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet nicht mit einer raschen Lösung der Schuldenkrise. „Es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen“, sagte Merkel am Freitag im Bundestag in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel in der kommenden Woche. Einen Befreiungsschlag oder Paukenschlag werde es nicht geben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor dem Bundestag zu einer „nachhaltigen Stärkung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion aufgerufen“. In einer Regierungserklärung zum EU-Gipfel Ende kommender Woche in Brüssel wandte sich Merkel am Freitag erneut gegen Diskussionen über einen einzelnen „Befreiungsschlag“ oder eine letzte Chance, um gleichsam „über Nacht“ die Euro-Krise zu überwinden. „Es gibt nicht den angeblich letzten Schuss, weder ist das meine Sprache noch mein Denken“, sagte die Kanzlerin. „Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise ist ein Prozess und der wird Jahre dauern“, mahnte sie.

Die aktuelle Euro-Krise wertete Merkel als „die schwerste Krise seit der Einführung des Euro, wenn nicht überhaupt in der Geschichte der europäischen Einigung“. Doch sei auch schon viel erreicht worden. So herrsche inzwischen in ganz Europa Einigkeit darüber, dass die hohe Verschuldung Ursache der Krise sei und „dass genau diese Ursache bekämpft werden muss“.

"Vor allem Vertrauenskrise"

Merkel forderte Europas Politiker dazu auf, verlorenes Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. "Die Krise im Euro-Raum ist vor allem eine Vertrauenskrise." Diese habe die Politik selbst verschuldet. So seien etwa die europäischen Stabilitätskriterien über sechzig Mal verletzt worden. Dass sich inzwischen alle Beteiligten dazu entschlossen hätten, damit aufzuhören, sei ermutigend.

Von dem bevorstehenden EU-Gipfel werden wichtige Weichenstellungen zur Bekämpfung der Euro-Schuldenkrise erwartet. Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy hatten vergangene Woche ihre Absicht erklärt, die EU-Verträge hin zu einer „Fiskalunion“ zu ändern. Von dem Gipfel soll auch ein Signal zur Beruhigung der Finanzmärkte ausgehen. Mehrere überschuldete Euro-Länder können sich derzeit nur mit der Zusicherung hoher Zinszahlungen Kredite auf den Märkten besorgen.

Merkel: Aufgabe der EZB ist eine andere als die der Fed

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Erwartungen an ein stärkeres Eingreifen der EZB im Kampf gegen die Schuldenkrise gedämpft. „Die Aufgabe der Europäischen Zentralbank ist eine andere als die der Fed der Vereinigten Staaten von Amerika oder der Bank of England“, sagte Merkel. Sie werde Entscheidungen der EZB nicht kommentieren und ihr auch keine Ratschläge erteilten.

Viele Experten fordern eine aktivere Rolle der EZB bei der Lösung der Schuldenkrise - etwa durch verstärkte Ankäufe von Staatsanleihen, wie es die Fed und die Bank of England tun.

Deutschland setzt auf Änderung der EU-Verträge

Merkel hält eine Änderung der europäischen Verträge für alternativlos. Sie reise zum Europäischen Rat nach Brüssel mit der festen Absicht, "Vertragsänderungen zu schaffen", betonte die Kanzlerin vor dem Deutschen Bundestag. "Es führt kein Weg daran vorbei, die EU-Verträge zu ändern." Ziel müsse eine Fiskalunion mit Durchgriffsrechten bei der Haushaltsfestigkeit der Mitgliedsländer sein. Euro-Bonds zur Bekämpfung der Schuldenkrise lehnte Merkel erneut ab.

Regeln müssten eingehalten werden, und diese Einhaltung müsse kontrolliert werden, betonte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung. Sollten die Regeln gebrochen werden, müssten automatische Sanktionen greifen. Auch müsse es ein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof geben, erklärte Merkel. Nur solche Maßnahmen schafften wieder Vertrauen in den Euro. Der Europäische Rat findet in der kommenden Woche am Donnerstag und Freitag in Brüssel statt.

Eine gemeinsame europäische Haftung sei "nicht denkbar", sagte Merkel weiter. Es gebe keine europäische Institution, die über nationale Haushalte entscheide; das sei auch nicht vorgesehen. Die Haushaltshoheit der Länder solle vielmehr vollständig erhalten bleiben und damit "erledigt sich auch die Debatte über Euro-Bonds", betonte die Kanzlerin. Wichtig sei vielmehr ein europäisches Durchgriffsrecht, wenn gegen eine "europäische Schuldenbremse" verstoßen werde.

Steinmeier: Merkel schiebt EZB die Verantwortung zu

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat der schwarz-gelben Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel vorgeworfen, ein Stabilitätsrisiko für Europa zu sein. Merkel habe in ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel am Kern der Sache vorbeigeredet, hielt Steinmeier im Bundestag der Regierungschefin vor. "Keiner, Frau Merkel, wirft ihnen vor, dass es die Krise gibt. Aber wie sie mit ihr umgehen, das geht auf keine Kuhhaut." Merkel trage mit Wankelmütigkeit und Entscheidungslosigkeit Mitverantwortung dafür, dass nichts stabiler geworden sei. "Ihr Taktieren macht die Lage in Europa nicht stabil", bemängelte er. Das Gegenteil sei der Fall.

Der SPD-Politiker kritisierte, Merkel habe bislang alle Bastionen geräumt, die sie einmal in der europäischen Diskussion über die Beilegung der Krise eingenommen habe. Daher fehle es ihr an jeder Glaubwürdigkeit. Der SPD-Fraktionschef warb für Einigkeit in Europa. "Europa kann sich aus diesem Schlamassel nur gemeinsam wieder herauskämpfen."

Merkel scheue in der Krisenbekämpfung Verantwortung und schiebe diese letztlich der Europäischen Zentralbank (EZB) zu, sagte Steinmeier. In den hellen Tagesstunden kritisiere die Kanzlerin die anderen Europäer, die in der EZB die letzte Instanz für die Lösung der Krise sähen, "und wenn es dunkel wird, beten sie dafür, dass die EZB weiter Anleihen kauft". Dieses Handeln der EZB kritisierte er nicht. Es sei aber nichts anderes als eine Form gemeinsamer Haftung in Europa. "Sie findet statt, durch Anleihenkäufe der EZB." Das sei wohl unvermeidbar, man dürfe das aber auch nicht leugnen, wie es die Regierung tue.

Brüderle wirft Opposition Fahrlässigkeit vor

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hat der Opposition in der Europa-Frage Fahrlässigkeit vorgeworfen. "Sie stellen Parteitaktik über das Schicksal Europas", sagte Brüderle mit Blick auf harsche Vorwürfe der Opposition an der Europa-Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

"Sie benehmen sich europapolitisch wie Ackergäule", sagte Brüderle an die Adresse der SPD. Kanzlerin Merkel "kämpft engagiert für Europa, und wir stehen hinter ihr", betonte der FDP-Politiker.

Trittin: "Hören Sie auf, das deutsche Volk zu belügen"

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin wirft der Bundesregierung vor, der Bevölkerung die Unwahrheit über Euro-Bonds zu sagen. "Hören Sie auf, das deutsche Volk zu belügen", rief er der Regierung zu. Da die Europäische Zentralbank (EZB) in großem Umfang Staatsanleihen überschuldeter Länder wie Spanien und Italien aufgekauft habe, gebe es längst eine gemeinsame europäische Haftung für Schulden. Öffentliche Reden der Regierung gegen Euro-Bonds, also gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Länder, seien daher eine Lüge.

Trittin attackierte zudem schwarz-gelbe Forderungen nach weiteren Sparanstrengungen in den europäischen Krisenländern. Die Milliardendefizite ließen sich nicht wegsparen. Wenn die Sparauflagen weiter aufrechterhalten würden, stehe am Ende "das Zerbrechen der Eurozone", warnte Trittin. (afp/rtr/dapd/ap)