Duisburg. . Bundesverfassungsrichter di Fabio sprach im Duisburger Audimax über die Euro-Krise: Staatschefs, Parlamente, Banken und Versicherungen - sie seien alle Getriebene der Euro-Rettung, sagte di Fabio bei seiner Antrittsvorlesung. Der beste Schutz vor den Umtrieben der Finanzmärkte ist für di Fabio die soziale Marktwirtschaft.

Ob Staatschefs, Parlamente, ob Gerichte. Ob Banken oder Versicherungen: Sie treffen in diesen Krisenzeiten wichtige Entscheidungen, immer mit dem obersten Gebot: Der Euro muss gerettet werden – aber ohne die Finanzmärkte zu erschüttern.

„Es sind Getriebene“, sagt Udo di Fabio, Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts und nimmt sich dabei nicht aus. In Duisburg erzählt er von der Angst der obersten Richter, die über den europäischen Rettungsschirm zu entscheiden hatten. Als sie im September dem umstrittenen EFSF mit Auflagen zustimmten, „stieg der Dax und auch die Richter konnten aufatmen“.

Wer regiert?

Die Wechselwirkungen zwischen Staat und Wirtschaft sind für den Professor mit dem doppelten Doktortitel – di Fabio ist promovierter Soziologe und Jurist – das entscheidende Thema. „Wer regiert?“, ist die Frage, die ihn umtreibt und die er in den Mittelpunkt seiner Antrittsvorlesung zur Mercator-Professur der Universität Duisburg-Essen stellt.

Wer nun erwartete, der Richter betreibe Finanzmarktschelte, hatte sich getäuscht. Di Fabio begab sich tief in die Geschichte, erklärte die Entwicklung im späten 18. Jahrhundert, als eine gigantische Industrialisierung einsetzte mit einem ebensolchen Wachstum, das den Staat überrollte. Zum Bespiel mit den veränderten Lebensbedingungen: aus Bauern wurden Arbeiter. Sie brauchten ein Bildungssystem, ein Arbeitsrecht – die wirtschaftliche Entwicklung zwang den Staat, darauf zu reagieren. Die Wirtschaft trieb also schon damals den Staat vor sich her.

Freiheit mit Augenmaß

Der beste Schutz vor den Umtrieben der Finanzmärkte ist für di Fabio die soziale Marktwirtschaft, die Schwächere durch Arbeits- und Tarifrechte schütze. Freiheit mit Augenmaß, nennt es di Fabio, und die will er für die Wirtschaft wie für jeden Menschen gewährleistet sehen. Diese Freiheit sieht er gefährdet.

Der Fehler sei die Angst vor einem Wachstumsstillstand. Warum eigentlich, fragt di Fabio, verschulden sich Staaten trotz der Gewissheit, niemals das Geld zurückzahlen zu können, nur um das Wachstum zu befeuern? Nun sei Griechenland zahlungsunfähig und fordere weitere Hilfen, „wie ein insolventer Privathaushalt, der die Sparkasse anklagt, weil sie weitere Kredite verweigert.“

Verzicht auf Wachstum

Die Eurorettung um jeden Prei, das international unaufhaltsame Wachstum, das auch die Wissenschaft, Bildung, Recht und Kultur mit sich reiße – brauche diese Entwicklung nicht einen Weltstaat, der den entfesselten Kapitalismus eingrenzt? Nein, antwortet di Fabio sich selbst. Im Prinzip hält er es wie Angela Merkel, die am Nein zu den Eurobonds und einer europäischen Wirtschaftsregierung festhält. Di Fabio setzt sich für die Stärke der Nationalstaaten ein – wohl mit dem Preis, auf Wachstum verzichten zu müssen. Der Staat, die Wirtschaft, Bildung und Recht – sie könnten, sagt er, daran nur gesunden.