Essen. Hat ein muslimischer Schüler einen Anspruch darauf, in der Schule zu beten? Diese Frage soll am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig klären - und einen vier Jahre dauernden Rechtsstreit zwischen einem Schüler und dem Land Berlin beenden. In NRW sieht man dem Urteil gelassen entgegen.
Yunus M. nimmt seine Religion ernst. So ernst, dass der heute 18-jährige Muslim das Mittagsgebet nach islamischem Ritus auch in der Schule pflegen wollte. In der Pause, wohlgemerkt, nicht zu Unterrichtszeiten. Aber dass M., damals gerade 14 Jahre alt, im November 2007 gemeinsam mit sieben Mitschülern seine Jacke auf dem Schulflur ausbreitete und gen Mekka betete, passte der Schulleiterin seines Gymnasiums im Berliner Stadtteil Wedding nicht. Sie sah die Neutralität der Schule verletzt, fürchtete Konflikte mit andersgläubigen Schülern oder Gruppendruck - und verbot den Schülern das Beten in der Schule. Der Anfang eines Rechtsstreits, der bis heute andauert. Am Mittwoch soll ihn das Oberverwaltungsgericht als letzte Instanz klären.
Erste Runde: Yunus M. wehrte sich juristisch gegen das Betverbot. Schon während des Verfahrens verpflichtete das Verwaltungsgericht das Gymnasium per einstweiliger Anordnung, den Teenager einmal täglich beten zu lassen. Im Herbst 2009 bestätigte das Urteil diese Tendenz: Die Schule müsse dem jungen Muslim die Möglichkeit geben, "außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein islamisches Gebet zu verrichten", entschied das Gericht. Yunus M. könne sich auf das im Grundgesetz verankerte Recht der ungestörten Religionsausübung berufen. Damit habe er keinen automatischen Anspruch auf einen Gebetsraum, betonten die Richter - den habe M. auch gar nicht einfordert. Wenn die Schulleitung aber meine, die anderen Schüler "vor einer Konfrontation mit der Gebetsausübung" schützen zu müssen, könne sie dies lösen, indem sie dem Muslim während der Pause einen Raum zur Verfügung stelle.
Keine Konflikte ums Beten in NRW
Zweite Runde: Das Land Berlin ging in Berufung - und bekam im Mai 2010 Recht vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Begründung: Für den Schüler gelte zwar Glaubensfreiheit. Weil aber am betreffenden Gymnasium im Wedding 29 Nationalitäten, sämtliche Weltreligionen und viele Glaubensrichtungen aufeinanderträfen, gebe es dort auch ein "größeres Potenzial für Konflikte". In solch einer gemischten Schülerschaft sei es schlicht "nicht möglich, allen Ansprüchen an die jeweilige Religionsausübung gerecht zu werden" und gleichzeitig Rücksicht auf die Glaubensfreiheit von Anders- oder Nichtgläubigen zu nehmen.
Dritte Runde: Yunus M. legte Revision ein, zog vor das Bundesverwaltungsgericht, das am Mittwoch verhandelt. Ein Urteil werde voraussichtlich noch am Mittwochnachmittag fallen, sagte Gerichtssprecher Wolfgang Bier. In Nordrhein-Westfalen erwartet das Schulministerium die Entscheidung gelassen. "Uns ist nicht bekannt, dass es in NRW spezielle Gebetsräume in Schulen gibt", sagt Sprecher Jörg Harm im Gespräch mit DerWesten. Konflikte ums Beten in der Schule seien ebenfalls nicht bekannt. "Das spricht für ein reibungsloses Zusammenleben in den Schulen", sagt Harm.
Sollte das Bundesverwaltungsgericht gegen Yunus M. entscheiden, bleibt ihm noch eine Verfassungsbeschwerde vorm Bundesverfassungsgericht. Für den 18-Jährige dürfte sich das Beten in der Schule bald ohnehin erledigt haben. Er macht nächstes Jahr Abitur.