Berlin. Die Serie von rechtsextremen Mordanschlägen hat zu hitzigen Debatten im Bundestag geführt. Oppositions-Chef Frank-Walter Steinmeier warf der Regierung vor, Statistiken geschönt zu haben, um Neonazi-Verbrechen kleinzureden. Einstimmig wurde ein Entschließungsantrag gegen rechts verabschiedet.
Im Deutschen Bundestag hat die Opposition schwere Vorwürfe gegen die Regierung erhoben. Die Statistiken rechter Straftaten würden geschönt und verzeichneten daher deutlich weniger als 140 Rechtsextremismus-Opfer seit 1990, kritisierte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier: "Es durfte nicht sein, was nicht sein konnte, deshalb wurden die Augen verschlossen und das Ausmaß rechter Gewalt kleingeredet." Nicht nur die Sicherheitsbehörden hätten beschämend versagt, auch Familienministerin Kristina Schröder. Diese habe ausgerechnet denjenigen, die sich dem Rechtsextremismus entgegenstellten, einen "Gesinnungs-TÜV" aufgezwungen. Rechts- und Linksextremismus dürften aber nicht gleichgesetzt werden. "Es gibt keine linksextremen Schlägertrupps in diesem Lande, die ganze Regionen terrorisieren", betonte Steinmeier. Ähnlich äußerten sich Grüne und Linkspartei.
Als Konsequenz aus der rechtsextremistischen Mordserie wird die schwarz-gelbe Koalition die geplante Umschichtung von Mitteln im Kampf gegen Rechtsextremismus im Etat von Familienministerin Schröder rückgängig machen. Dort sind für 2012 zur Bekämpfung des Rechtsextremismus 22 Millionen Euro vorgesehen - zwei Millionen Euro weniger als in diesem Jahr. Dies war bei der Opposition auf scharfe Kritik gestoßen. Ministeriums-Sprecher Christoph Steegmans betonte allerdings, bei den zwei Millionen Euro handele es sich um Verwaltungseinsparungen. Das Geld werde lediglich anders verbucht und zwar über das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Kein Projekt müsse fürchten, im nächsten Jahr auch nur einen Euro weniger zu erhalten.
Bundestag veurteilt Rechtsterrorismus einstimmig
Der Deutsche Bundestag hat in großer Einmütigkeit Rechtsterrorismus verurteilt und die Weltoffenheit Deutschlands betont. "Wir sind zutiefst beschämt, dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt", erklärten alle im Bundestag vertretenen sechs Parteien in einer sehr seltenen parteiübergreifenden Entschließung. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ließ angesichts der aufgedeckten Neonazi-Mordserie zudem Sympathien für ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren erkennen.
Einstimmig und unter Einschluss der Linkspartei verabschiedete der Bundestag einen Entschließungsantrag gegen Rechtsextremismus: "Wir stehen ein für ein Deutschland, in dem alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlen - ein Land, in dem Freiheit und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind."
Parlamentarier erheben sich zu Beginn der Debatte
Schon zu Beginn der Debatte hatten sich die Abgeordneten aus Respekt vor den mindestens zehn Opfern der Zwickauer Neonazi-Zelle erhoben. "Wir wissen um unsere Verantwortung", betonte Bundestagspräsident Norbert Lammert im Namen aller. Die Parlamentarier seien beschämt, dass die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern die Taten weder rechtzeitig aufgedeckt noch verhindert hätten. Zugleich bat der CDU-Politiker das Umfeld der ermordeten Migranten um Entschuldigung für Verdächtigungen, die während der Ermittlungen erhoben wurden. Die Ermittler waren jahrelang nicht von einem rechtsextremistischen Hintergrund ausgegangen, sondern von Taten im Zusammenhang mit Schutzgeld-Erpressungen.
Dem Zwickauer Neonazi-Trio werden mindestens zehn Morde an Migranten und einer Polizistin zur Last gelegt. Der rechtsextremistische Hintergrund der Mordserie zwischen 2000 und 2007 war den Ermittlern nicht aufgefallen und kam erst ans Licht, als Anfang November zwei Mitglieder der Zelle nach einem Banküberfall tot in einem Wohnmobil in Eisenach gefunden wurden. Später wurden in ihrer Zwickauer Wohnung die Tatwaffen entdeckt. Ein mutmaßliches Mitglied und ein mutmaßlicher Komplize sitzen in Untersuchungshaft. Gegen weitere Verdächtige wird ermittelt.
Innenminister Friedrich offen für NPD-Verbot
Bundesinnenminister Friedrich, der sich bisher eher zurückhaltend zu einem neuen NPD-Verbotsverfahren geäußert hatte, hob in der Debatte die Vorteile eine Verbots hervor. Damit würde zumindest verhindert, dass die NPD über die Parteienfinanzierung auch noch Geld vom Staat erhalte. Zugleich warnte der Minister jedoch vor den Risiken eines Verbots-Verfahrens, das 2003 schon einmal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war. Die Richter äußerten sich damals kritisch über die massive Unterwanderung der NPD durch V-Leute der diversen Verfassungsschutz-Behörden in Bund und Ländern. Das Gericht machte 2003 deutlich, dass der Staat seine Quellen in den Führungskreisen der Partei abschalten müsse, damit ein Verbotsverfahren Aussicht auf Erfolg habe. "Das ist mit einem Risiko verbunden", gab Friedrich zu bedenken.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger widersprach Vorwürfen, die deutschen Sicherheitsbehörden verharmlosten rechte Gewalt. "Auf keinem Auge sind wir blind", betonte die FDP-Politikerin. Zugleich warnte sie vor einem NPD-Verbotsverfahren, falls dieses keine Aussicht auf Erfolg habe. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann dringt dagegen auf ein rasches Verbot. "Das ganze System der V-Leute bedarf einer grundlegenden Überprüfung", sagte der Grünen-Politiker in Stuttgart.