Berlin. Die Debatte um Rechtsextremismus und -terrorismus in Deutschland hat für ungewohnte Einigkeit im Bundestag gesorgt: Die Fraktionen einigten sich am Dienstag auf eine gemeinsame Erklärung zum Thema. Darin fordern die Spitzen von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken, dass ein NPD-Verbot geprüft wird.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will ein erneutes NPD-Verbotsverfahren prüfen. Die Diskussion um ein Verbot der rechtsextremen NPD werde sich wohl nicht vermeiden lassen, sagte Friedrich am Dienstag im Bundestag. Eine Arbeitsgruppe für das Vorhaben sei bereits eingesetzt und werde noch in dieser Woche ihre Arbeit aufnehmen. Allerdings sei das Verbotsverfahren nicht einfach, sagte der CSU-Minister und verwies auf die vom Bundesverfassungsgericht gestellte Bedingung, zunächst die V-Leute aus der Partei abzuziehen.

Die im Bundestag vertretenden Parteien forderten unterdessen geschlossen eine zügige Aufklärung der Neonazi-Mordserie. Die Spitzen der fünf Fraktionen verständigten sich am Dienstag auf eine gemeinsame Erklärung, wie aus der Unionsfraktion verlautete. Am Vormittag befasste sich das Plenum des Bundestages mit dem Thema.

Die Abgeordneten zeigten sich beschämt über die mangelnde Aufklärung durch die Sicherheitsbehörden. Sie erhoben sich, als Bundestagspräsident Norbert Lammert zum Auftakt der Generaldebatte über die Neonazi-Affäre für den Bundestag Trauer, Betroffenheit und Bestürzung über die Mordserie zum Ausdruck brachte. Die Parlamentarier seien beschämt darüber, dass die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern die Taten und ihre Hintergründe weder rechtzeitig aufgedeckt noch verhindert hätten. "Wir wissen um unsere Verantwortung", betonte Lammert.

Warnung vor Generalverdacht gegen Behörden

Zugleich bat der CDU-Politiker das Umfeld der ermordeten Migranten um Entschuldigung für Verdächtigungen, die während der Ermittlungen erhoben wurden. Die Ermittler waren jahrelang nicht von einem rechtsextremistischen Hintergrund ausgegangen, sondern von Taten im Zusammenhang mit Schutzgeld-Erpressungen. Lammert sagte, die Abgeordneten des Bundestags seien fest entschlossen, die Ereignisse und ihre Hintergründe aufzuklären und sicherzustellen, dass das in der Verfassung garantierte Grundrecht auf den Schutz von Leib und Leben für alle in Deutschland Geltung habe, und zwar unabhängig von Glauben und Herkunft. Nach der Debatte wollten die Abgeordneten einen fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag gegen Rechts verabschieden.

Bundestagspräsident Norbert Lammert warnte unterdessen vor einem Generalverdacht gegen Behörden. Die bisherigen Pannen bei der Aufklärung der Mordserie der mutmaßlichen Terrorzelle aus Zwickau seien zwar "offenkundig" und ein Fehlverhalten einzelner Beamter möglich. Aber dass "ganze Landesbehörden für Verfassungsschutz" eine Kumpanei mit V-Leuten "geduldet oder gar organisiert hätten, kann und will ich mir nicht vorstellen", sagte Lammert im Deutschlandfunk. In der Debatte müssten "reflexhafte Übertreibungen" vermieden werden.

Innenminister von Union und SPD wandten sich gegen Vorschläge zur Zusammenlegung kleinerer Verfassungsschutzämter. Niedersachsens Minister Uwe Schünemann (CDU) sagte im "Hamburger Abendblatt", die Zusammenlegung von Verfassungsschutzämtern der Länder zu drei oder vier Großbehörden sei wenig sinnvoll. "Diese Mammutbehörden können nicht kontrolliert werden", warnte er.

Länder gegen Zusammenlegung von Verfassungsschutzämtern

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sagte den Dortmunder "Ruhr Nachrichten", sie glaube nicht, dass ein Zusammenschluss der Verfassungsschutzämter die Arbeit verbessere. Allerdings müssten alle Bundesländer die Strukturen des Verfassungsschutzes überprüfen.

Der Innenminister von Schleswig-Holstein, Klaus Schlie (CDU), sagte dem "Hamburger Abendblatt", sogenannte Mammutbehörden böten keine Gewähr, dass Informationen nicht verloren gingen." Selbst wenn es nur noch einen Bundesverfassungsschutz gäbe, müsste er zwingend Außenstellen in den Ländern haben.

Welche Rolle spielten die Behörden bei den Morden?

Auch der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), sprach sich gegen den Vorschlag aus. Er könne nicht erkennen, wie durch Fusionen die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz verbessert werden solle, sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Im Berliner "Tagesspiegel" nannte er den Vorschlag Bosbachs als "unsachlich und ungeeignet".

Der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte dem "Tagesspiegel", eine Fusion der Verfassungsschutzämter sei für ihn "derzeit kein Thema".

Bosbach, der Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses ist, hatte vorgeschlagen, als Konsequenz aus der Pannenserie Verfassungsschutzämter kleinerer Länder zusammenzulegen. Diesen Vorschlag hat auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bereits öffentlich gemacht.

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel pocht unterdessen auf einer breiten Aufklärung der Rolle der Behörden bei den Morden der mutmaßlichen Terrorzelle aus Zwickau. Eine "reine regierungsinterne Ermittlung" werde nicht ausreichen, denn die Öffentlichkeit habe "in einer Demokratie auch das Recht, zu erfahren, wie der Staat mit der Aufarbeitung dieser Situation umgeht", sagte SPD-Chef Gabriel im Deutschlandfunk. Geklärt werden müsse nun, ob die öffentliche Aufklärung durch einen Untersuchungsausschuss oder einen Parlamentarischen Sonderermittler erfolgen solle.

Dem Zwickauer Neonazi-Trio werden mindestens zehn Morde an Migranten und einer Polizistin zur Last gelegt. Der rechtsextremistische Hintergrund der Mordserie zwischen 2000 und 2007 war den Ermittlern nicht aufgefallen und kam erst ans Licht, als Anfang November zwei Mitglieder der Zelle nach einem Banküberfall tot in einem Wohnmobil in Eisenach gefunden wurden. Später wurden in ihrer Zwickauer Wohnung die Tatwaffen entdeckt. Ein mutmaßliches Mitglied und ein mutmaßlicher Komplize sitzen in Untersuchungshaft. Gegen weitere Verdächtige wird ermittelt. (dapd/rtr)