Tripolis. . Libyen feiert das Ende der Gaddafi-Ära: Der Übergangsrat erklärte am Sonntag die Befreiung des Landes von jahrzehntelanger autoritärer Herrschaft. Von nun an soll das islamische Recht die Grundlage der Gesetze sein.

Drei Tage nach dem Tod des früheren libyschen Machthabers Muammar Gaddafi hat der Nationale Übergangsrat am Sonntag die Befreiung des nordafrikanischen Landes von jahrzehntelanger autoritärer Herrschaft erklärt. Der Vorsitzende des Übergangsrats Mustafa Abdul Dschalil rief das Volk in Bengasi, der Geburtsstadt der libyschen Revolution zu Geduld, Ehrlichkeit und Toleranz sowie zur Vermeidung von Hass beim Wiederaufbau des Landes nach acht Monaten Bürgerkrieg auf. Die von Dschalil präsentierte Vision eines neuen Libyen war stark islamisch gefärbt.

Vor tausenden Menschen verkündete Dschalil, im neuen Leben werde das islamische Recht Scharia die Grundlage aller Gesetze sein und bestehende Gesetze, die im Widerspruch zum Islam stünden, würden annulliert. So sollen etwa neue Banken gegründet werden, die im Einklang mit islamischem Recht keine Zinsen mehr verlangen dürfen.

Dank an die EU und Nato

In einer Geste der Frömmigkeit forderte Dschalil die Libyer auf, ihre Freude nicht länger damit zu bekunden, dass sie in die Luft schießen. Stattdessen sollten sie „Gott ist groß“ rufen, forderte er. Anschließend kniete er für ein kurzes Gebet nieder.

„Gott hat über die Revolution und ihren Sieg gewacht“, verkündete Dschalil. Er dankte in seiner Ansprache allen Kämpfern, die im Kampf mit den Truppen Gaddafis für den Sieg gekämpft haben und gestorben sind. „Diese Revolution begann friedlich und forderte nur ein Minimum an legitimen Rechten ein. Aber ihr wurde mit exzessiver Gewalt begegnet“, sagte er.

Der Vorsitzende des Übergangsrats Mustafa Abdul Dschalil. Foto: rtr
Der Vorsitzende des Übergangsrats Mustafa Abdul Dschalil. Foto: rtr © REUTERS

Allen Militärangehörigen und Zivilpersonen, die an den Kämpfen beteiligt gewesen seien, versprach er eine Beförderung um einen Rang. Außerdem versprach er für einen späteren Zeitpunkt weitere, zunächst nicht näher ausgeführte Belohnungen. Außerdem dankte Dschalil dem Golfkooperationsrat, der Arabischen Liga, der EU und der Nato, die ihre Luftangriffe effizient und professionell durchgeführt hätte.

Binnen acht Monaten Wahlen

Binnen eines Monats sollen nun eine neue Übergangsregierung gebildet und innerhalb von acht Monaten erste Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung abgehalten werden.

Am Samstag sprach sich der derzeit amtierende Ministerpräsident Mahmud Dschibril dafür aus, dass die zu bildende Übergangsregierung bis zu den ersten Präsidentenwahlen im Amt bleiben sollte. Er selbst hatte angekündigt, sich nach der Befreiungserklärung aus der Regierung zurückzuziehen. Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Jordanien sagte er außerdem, der Übergangsrat müsse die Kämpfer zügig entwaffnen. Es sei vordringlich, dass in den kommenden Tagen große Mengen Waffen eingesammelt würden.

Gaddafis Leiche wurde obduziert

Die Leiche des am Donnerstag getöteten Exmachthabers Gaddafi wurde nun doch obduziert. Nach Angaben eines Gerichtsmediziners wurde er durch einen Kopfschuss getötet. Widersprüchliche Angaben des Militärs warfen international Fragen auf, ob der 69-Jährige bei einem Feuergefecht starb oder gezielt getötet wurde. Auch drei Tage nach seinem Tod war Gaddafis Leichnam noch nicht beigesetzt. Der Freude am Tag der offiziellen Befreiungserklärung tat dies keinen Abbruch.

Wenige Stunden vor den Feierlichkeiten gab der oberste Gerichtsmediziner bekannt, Gaddafi sei durch einen Kopfschuss ums Leben gekommen. Gaddafi war am Donnerstag bei der Eroberung seiner Heimatstadt Sirte zunächst lebend gefangen genommen worden, wie Videoaufnahmen zeigen. Wie er dann zu Tode kam, ist unsicher. Auch die Todesumstände seines Sohnes Muatassim sind unklar. Über den Verbleib des Sohnes Seif al Islam gibt es widersprüchliche Berichte, anscheinend war er noch auf freiem Fuß.

Lange Schlangen vor Gaddafis Leichnam

Die meisten Libyer sind an den Todesumständen Gaddafis, der 42 Jahre lang an der Macht war, wenig interessiert, sondern eher erleichtert über dessen Tod: Ein Gerichtsprozess hätte doch nur für Chaos gesorgt, sagte ein Einwohner der Hauptstadt Tripolis. „Jetzt ist es vorbei.“ De-facto-Regierungschef Mahmud Dschibril sagte dem britischen Fernsehsender BBC indes, dass er es bevorzugt hätte, wenn Gaddafi noch am Leben wäre. Dann hätte er sich den Fragen der Bevölkerung zu seiner Herrschaft stellen müssen, sagte Dschibril.

Unklarheit über die genauen Todesumstände Gaddafis und widerstreitende Ansprüche auf seinen Leichnam verhinderten bislang eine schnelle Beerdigung, wie sie der islamische Ritus eigentlich vorschreibt. Am Freitag lag der blutbefleckte Leichnam mit Schusswunden in Kopf, Brust und Bauch noch im Kühlraum eines Einkaufszentrums in Misrata. In langen Schlangen standen Einwohner der im Sommer schwer umkämpften Stadt an, um einen letzten Blick auf den verhassten Herrscher zu werfen. (dapd)