Essen. . Die Umfragewerte sind lausig für die etablierten Parteien. Nur die Piraten, diese bunte, unfertige Truppe, ist im Aufwind. Doch statt den frischen Wind aufzunehmen, garen CDU/CSU, die FDP und die Grünen im eigenen Saft.

Die etablierten Parteien dümpeln vor sich hin. Union und SPD könnten, so die Umfragen, nur noch mit Drei-Parteien-Konstellationen („Ampel“, „Jamaika“, Rot-Rot-Grün) oder als „Große Koalition“ die Regierung stellen. Die FDP ist erst einmal erledigt. Und doch herrscht Aufbruchstimmung: Die Piraten kommen, stürmen mit acht Prozent voran und mischen die politische Landschaft auf.

Die alten Polit-Granden, zu denen längst die Grünen gehören, haben einen Trend total verschlafen. Nun reiben sie sich verwundert die Augen, wachen aber immer noch nicht richtig auf: Statt sich an den Ursachen des Wählerschwundes abzuarbeiten, wie dem rasanten gesellschaftlichen Wandel, der längst viel weitreichender ist als das Aufbrechen der traditionellen Familienstrukturen, verharren sie im politischen Klein-Klein.

Der gesellschaftliche Konsens ist Geschichte

Dabei sind wir alle freier geworden und unabhängiger, wenn es um unsere Lebensführung geht. Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens mehr, nach dem sich breite Bevölkerungsgruppen richten. Während sich nun die Union an der Frage zerreibt, wie konservativ sie künftig sein will oder muss, während die als reine Klientelpartei wahrgenommene FDP immer noch von Steuersenkungen träumt, die eigentlich niemand will, während die SPD versucht, die Arbeiter zurückzugewinnen – eine traditionelle Anhängerschaft, die auch eher schwindet statt wächst – während all die Etablierten krampfhaft sich selbst zu finden wollen, laufen ihnen die Nachwuchswähler in Scharen davon. Und damit eine Gruppe, die laut Jugendforscher Klaus Hurrelmann politisch äußerst aktiv ist.

Junge Menschen – und inzwischen auch viele moderne ältere – leben einen Großteil ihrer Beziehungen über die sozialen Netzwerke. Sie nutzen nicht nur die durch das Internet jederzeit verfügbaren Informationen. Sie wirken an allem und jedem unmittelbar und in Echtzeit mit; kommunizieren immer und überall mit jedermann. Das hat deutliche Auswirkungen: Anfang des Jahres mobilisierte sich die arabische Jugend über das Internet, nun sind es amerikanische Kapitalismuskritiker, die über Twitter, Youtube und Facebook womöglich eine globale Bewegung schaffen.

Das Internet gehört für die Jungen zum Leben

Mag sein, dass auch alte Herren oder Damen der großen Parteien ein wenig twittern. Doch das Lebensgefühl der Jugend, für die das Internet zum Zentrum ihres Lebens geworden ist, treffen derzeit vor allem die Piraten, für die das Internet sozusagen der Urschleim ihrer Existenz ist.

Geht es nach dieser jungen, so unfertigen Partei, macht die Basis die Politik, indem sie an Programmen schreibt, Gesetzesentwürfe erstellt und im Internet übertragene Debatten diskutiert. Die Piraten versprechen die totale Transparenz; mehr haben sie noch nicht zu bieten.

Von der etablierten Politik- und Medienszene wird diese vermeintliche inhaltliche Leere belächelt, wie die Piraten überhaupt ignoriert werden. Diese Arroganz gegenüber einer Acht-Prozent-Partei könnte deren Anhänger allerdings noch mehr beflügeln.

Undurchsichtige Hinterzimmerstrategien soll es mit den Piraten nicht geben

Abgesehen davon wird es nicht lange dauern, dann sind aus den vielen Studenten unter den Piraten Steuerzahler geworden, die Stromrechnungen begleichen, Krankenkassenbeiträge zahlen und Kita-Gebühren. Die persönliche Lebenswirklichkeit – so das Kalkül – wird die Themen diktieren. Und wenn die breite Masse künftig lieber mit Bus, Bahn und Fahrrad in den Städten unterwegs ist als mit dem Auto, werden sie womöglich als Piratenanhänger über die sozialen Netzwerke wirksamer die Verkehrspolitik beeinflussen als so mancher Cheflobbyist der Automobilbranche, der mit den alten Politgrößen von SPD und Union in Hinterzimmern neue Großprojekte auskungelt.

Ein populäres Beispiel für undurchsichtige Hinterzimmerstrategie ist das rot-grüne Koalitionstheater in Berlin, wo der regierende Bürgermeister Wowereit – ein Meister des altgedienten Politikbetriebes – den Streit um ein paar Kilometer Autobahn nutzt, um die Grünen kalt abzuservieren.

Aktionen wie diese sind die Wähler leid. Vieles spricht dafür, dass die Piraten langfristig Erfolg haben, auch wenn sie noch keine Strategie zur Euro-Rettung präsentieren.

Die Etablierten können sie noch abschütteln, wenn sie erkennen, dass ihre Art, Politik zu machen, im Internet-Zeitalter nicht überlebensfähig ist. Diese Aussicht ist ja nicht die schlechteste.