Berlin. . Nach dem Sensationserfolg kommt die Ernüchterung. Mit dem Politik-Alltag in Berlin tut sich die Piratenpartei noch schwer. An jeder Ecke lauern harte Proben. Die Unbekümmertheit hat sich in Nachdenklichkeit und Gereiztheit verwandelt.

Es ist nicht einfach, die künftigen Abgeordneten der Piratenpartei zu erreichen. Die 15-köpfige Mannschaft hat zwar einen Telefonanschluss im Berliner Abgeordnetenhaus. Aber der war am Dienstagvormittag ausgesteckt. Später warben die „Piraten“ um Verständnis: Sie hätten bislang nur den recht kleinen Raum 109 für Beratungen. Und wenn es dann mitten in den Debatten andauernd klingelt, das würde einfach nicht gehen. So ist das mit dem Transparenzgelübde der politischen Neulinge, an jeder Ecke lauern harte Proben. „Piratenfraktion Berlin“ nennen sie sich jetzt, gewählt von fast 130 000 Bürgern der Hauptstadt vor gut einer Woche. Bundesweit schwimmen die Seeräuber seither auf einer Euphoriewelle, Landesverbände melden massenhafte Eintritte.

In der Hauptstadt warten sie jetzt erst einmal auf die FDP. Die Liberalen müssen nach ihrer vernichtenden Niederlage ihre Zimmer den „Piraten“ überlassen. Zugleich überlegen die Freibeuter, wer welchen der 17 parlamentarischen Ausschüsse besetzt, welche Mitarbeiter angestellt werden, wie man sich gegenüber den Geheimhaltungsregeln des Parlaments verhält.

Ein kurzer Blick in den stickigen Raum zeigt, wie sehr die bunt zusammengewürfelte Truppe, die bislang zumeist im Internet zusammenkam, an der parlamentarischen Realität zu knabbern hat. Die Ausgelassenheit und Unbekümmertheit nach dem Wahltriumph hat sich in Nachdenklichkeit, mitunter auch Gereiztheit und Überforderung verwandelt.

Keine Satzung

Bei der ersten Fraktionssitzung in der vergangenen Woche waren mehr Pressevertreter als Piraten anwesend. Spitzenkandidat Andreas Baum und der Abgeordnete Christopher Lauer aus Pankow wollten für eine Fraktions-Doppelspitze kandidieren. Doch einigen Delegierten ging das viel zu schnell, anderen fiel auf, dass es ja nicht einmal eine Satzung gibt.

Und plötzlich stand wieder die Frage der Fragen im Mittelpunkt: wie viel Transparenz darf es denn sein? Lauer, ein waschechter Realo, plädierte auch für nichtöffentliche Sitzungen, wenn etwa Anwärter auf Posten befragt werden und die Kritik „bis ins Persönliche“ ginge. Der Größte unter den Piraten, Gerwald Claus-Brunner, verteidigte hingegen eine umfassende Öffentlichkeit. „Wir können nicht über die Grundwerte unserer Partei hinweggehen“, meinte der gelernte Maschinenbauer, der zumeist Latzhose und Kopftuch trägt. Die Auseinandersetzung um Posten und andere Beute wurde vertagt, doch wie „Likedeeler“ (Gleichteiler) wirkte die Piraten-Mannschaft, zu der auch eine Frau gehört, dabei nicht.

Bislang ist es im Berliner Landesparlament üblich, dass die vier Geheimhaltungsstufen in Ausschüssen und für Materialien, von „VS - nur für den Dienstgebrauch“ bis zu „streng geheim“ von den Abgeordneten aller Parteien strikt eingehalten werden. Für die „Piraten“, die sich auf ihre Fahne geschrieben haben, alle politischen Entscheidungen und Entscheidungsprozesse transparent zu machen, ist das ein großes Problem.

Dann eben nicht vertraulich

Einen Bruch der Vertraulichkeit will der künftige Abgeordnete Pavel Mayer jedenfalls nicht ausschließen. „Ich kann mir vorstellen, dass es Dinge gibt, bei denen das öffentliche Interesse überwiegt und man das Risiko in Kauf nehmen muss, zur Verantwortung gezogen zu werden.“

Andere aus der Freibeuter-Fraktion haben sich bereits überlegt, an unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden Ausschüssen erst gar nicht teilzunehmen: dann würden sie auch nichts erfahren, was sie eigentlich nur für sich behalten müssten.