Essen/Berlin. . Die Partei schwimmt auf der Euphorie-Welle. Und der NRW-Verband erhofft sich einen Aufschwung durch den Triumph von Berlin. In kleinen Schritten wollen die Piraten jeden Tag dazulernen. Manchmal ein mühsames Geschäft.
Stehlen steht im Grundsatzprogramm eines Seeräubers. Demokratisch legitimierte Piraten jedoch wollen das Gegenteil: Sie wollen „liefern“. Damit meinen sie, Wahlversprechen in die Tat umzusetzen. Was die FDP seit der markigen Ankündigung von Parteichef Philipp Rösler im Mai schuldig geblieben ist, wollen die Piraten besser machen.
Kaum ins Berliner Parlament gewählt, bedienen sie sich der zum neuen Politiker-Schlagwort gewordenen Rösler-Rhetorik und verkünden ihre erste Amtshandlung: Um für mehr Transparenz im Politikbetrieb zu sorgen, wollen sie ihre Erlebnisse aus den Plenar- und Ausschusssitzungen des Abgeordnetenhauses im Internet bloggen (www.piratenfraktion-berlin.de). Ein Vorhaben, das im Gegensatz zum Anspruch der Liberalen, dem Bürger mehr Netto vom Brutto verschaffen zu wollen, ein paar Nummern kleiner, aber machbar erscheint. Jeder hat mal klein angefangen.
Vom Erfolg überrascht
Der NRW-Vorsitzende der Piraten, Michele Marsching, nimmt’s sportlich: „Wir sind eine junge Partei und lernen jeden Tag dazu. Dabei werden wir auch Fehler machen. Dazu stehen wir.“ Sein Landesverband hatte zuletzt Ärger wegen Ungereimtheiten bei den Parteifinanzen. Diese seien mittlerweile durch Gespräche mit der Bundestagsverwaltung ausgeräumt. „Wir hatten zu einigen Spendern keine Namen. Dadurch haben wir uns aber selbst betrogen, weil wir für diese Spenden keine staatliche Parteienfinanzierung erhalten haben.“ Ein Lerneffekt.
Es sind kleine und größere Herausforderungen, vor denen die politischen Neulinge stehen. Der Berliner Neu-Abgeordnete Simon Kowalewski zum Beispiel braucht nun einen Nachfolger für sein Biocafé: „Das werde ich jetzt nicht weiter betreiben können.“
Vom überraschenden Triumph des Flaggschiffs in Berlin erhoffen sich die NRW-Piraten frischen Wind in ihre seit der Landtagswahl 2010 erschlafften Segel. Immerhin: Einen Tag nach der Berlin-Wahl fanden sich bereits 25 Anträge von Neu-Mitgliedern im Postkasten der nordrhein-westfälischen Piraten.
Die Euphorie ist also schon mal vorhanden – wie bei Dieter Klein. Der Dortmunder Pirat hat am Wahlabend mit den Berlinern gefeiert und um acht Uhr morgens sollte er die ersten Interviews geben. „Ich habe ja damit gerechnet, dass das Interesse an den Piraten groß ist, aber dass es so groß ist...“
Kurs in NRW geändert
Seit zwei Jahren engagiert sich der IT-Fachmann bei den Piraten. Es waren die Online-Themen, die ihn dazu bewegt haben, auch offline aktiv zu werden. Lokal will er sich für mehr Transparenz einsetzen. „Alle Verträge, die die Stadt schließt, müssen auf den Tisch.“ Themen gibt es genug. Konkrete Ziele müssen sie freilich noch formulieren. „Wir sind mehr als eine Ein-Themen-Partei“, betont Nadine Krämer aus Mülheim. Heute treffen sich die 24-Jährige und andere Mülheimer Freibeuter zum Stammtisch und hoffen auf großen Andrang.
Monika Pieper, 48 Jahre aus Bochum, sagt über sich: „Ich bin eigentlich eine typische Antipiratin – ich kann den Computer gerade so bedienen.“ Ihr geht es vor allem um die Bürgerrechte und den Datenschutz. „Mit den Positionen von FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger stimme ich durchaus überein.“ Warum sie sich trotzdem bei den Piraten und nicht bei der FDP engagiert? „Es ist leichter, bei einer Partei wie den Piraten einzusteigen.“
Weg vom Klischee
Die Bochumerin steht für diejenigen Anhänger, die nicht ins Klischee der Partei für computerverrückte Männer um die 30 aus der Großstadt passen: „Wir haben den Begriff ,Protestpartei’ positiv besetzt. Die Themen ,Transparenz’ und ,Bürgerrechte’ sind attraktiv für Frauen und Männer, für Großstadt und Land“, sagt Michele Marsching.
Um für die nächste Landtagswahl in NRW besser aufgestellt zu sein als 2010 (1,6 Prozent), hat er die Marschroute der Partei geändert. Die zum Teil endlosen Diskussionen der Gremien werden nun im Parteivorstand gebündelt. „Sonst verlieren wir zu viel Zeit.“ Schließlich wolle man ja auch irgendwann „liefern“.