Straßburg.

Deutschlands Mann in Brüssel eckt mal wieder an: EU-Kommissar Günther Oettinger hat mit seinem Vorschlag, die Flaggen von Schuldenländern vor EU-Gebäuden auf Halbmast zu setzen, Empörung im Europaparlament ausgelöst. EU-Abgeordnete planen Protestbrief.

Aber nicht mit seinem eigenen Politikbereich macht Energiekommissar Günther Oettinger derzeit von sich reden. Der CDU-Spitzenmann erstaunt vielmehr mit der Verbreitung der Idee, die Flaggen von Euro-Krisen-Ländern auf Halbmast zu setzen und sie so an den Pranger zu stellen. Und dies ist nicht seine erste undiplomatische Äußerung. Jetzt drohen Oettinger Sanktionen in eigener Sache: EU-Parlamentarier verlangen eine Entschuldigung oder seinen Rauswurf.

Rund hundert Abgeordnete aus unterschiedlichen politischen Lagern wollen nach Angaben des belgischen Sozialisten Marc Tarabella einen Protestbrief an die Brüsseler Kommission unterzeichnen. Der Vorschlag, verschuldete Staaten zu demütigen, löse die Krise nicht und verletze zudem europäische Werte, erklärte Tarabella.

Abgeordnete fordern Entschuldigung oder Rücktritt

Die Abgeordneten wollen den Angaben zufolge den für Energiepolitik zuständigen deutschen Kommissar auffordern, seine Äußerung zurückzunehmen und sich zu entschuldigen. Sollte Oettinger nicht in der Lage sein, alle Bürger in der EU „zu vertreten und zu respektieren“, müsse er zurücktreten. Nach Angaben Tarabellas, der zu den Initiatoren des Protestes gehört, soll der Brief an die Kommission von „mindestens hundert“ Abgeordneten unterzeichnet werden. Auch Parlamentarier aus Oettingers politischer Familie, der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), wollen sich demnach der Initiative anschließen.

Oettinger hatte am Freitag in der „Bild“-Zeitung angeregt, bei der Suche nach einem Ausweg aus der Schuldenkrise „auch über unkonventionelle Ideen“ nachzudenken. „Es gibt ja auch den Vorschlag, die Flaggen von Schuldensündern vor den EU-Gebäuden auf Halbmast zu setzen. Das wäre zwar nur ein Symbol, hätte aber einen hohen Abschreckungseffekt“, sagte der CDU-Politiker dem Blatt.

Eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte dazu, dies sei keine von der Kommission diskutierte Idee. Die EU-Kommissare äußerten sich ebenso als Politiker wie als Privatpersonen. Oettinger habe sich dabei offenbar „einer deutlichen und sehr bildhaften Sprache“ bedient.

Oettinger hatte auch japanische Ingenieure kritisiert

Oettinger hatte schon zuvor mit einigen Äußerungen - diplomatisch gesprochen - Verwunderung ausgelöst. Angesichts der Atomkatastrophe von Fukushima stellte er öffentlich die „Ingenieurkompetenz“ der Japaner infrage und erklärte, „dass das Ganze in Gottes Hand ist“. Solche Bemerkungen stießen unter anderem den Franzosen sauer auf. Sie sahen ihre Atommeiler, die wichtigste Energiequelle, indirekt ebenfalls als gefährlich gebrandmarkt.

Erst in der vergangenen Woche brachte Oettinger die Grünen im Bundestag gegen sich auf - und möglicherweise die Chinesen dazu. Die EU könne in der Energiepolitik nicht voraussetzen, dass ihre Partner Demokratie und Menschenrechte respektieren, zeigte sich der Deutsche als Realpolitiker. Einer der wichtigsten Rohstofflieferanten sei China - „ich brauche nicht mehr zu sagen“, fügte er beredt hinzu. Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Hans-Josef Fell, nannte diese Einstellung „skandalös“.

Dabei hat der frühere baden-württembergische Ministerpräsident auf seinem eigenen Feld einiges zu bieten. Den nationalen Regierungen rang er nach Fukushima europaweite Stresstests für Atomkraftwerke ab. Bisher hatte Brüssel in der Atompolitik kaum Mitsprache. Auch mit dem Ausbau der Energieinfrastruktur hat Oettinger ein Thema angepackt, das als zukunftsentscheidend gilt. Seine Kompetenz in vielen Sachfragen ist unbestritten.

Das meint auch der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange. Doch zugleich warnt er seinen Landsmann vor weiteren „unüberlegten Äußerungen“ zu Themen wie der Schuldenkrise. „Er hat vielleicht noch zu sehr die deutsche Brille auf“, vermutet Lange. (afp)