Kevelaer. Der katholische Kardinal und Papst-Berater Walter Kasper ist einer der ranghöchsten Deutschen im Vatikan. Im Interview macht er sich für die Einheit der Kirche stark. Er fordert die Christen zu mehr religiösem Selbstbewusstsein auf - und zur politischen Stellungnahme.
Der katholische Kardinal Walter Kasper ist nicht nur Papst Benedikts Ökumene-Experte, der ehemalige Münsteraner Professor und Bischof von Rottenburg-Stuttgart ist heute auch einer der ranghöchsten Deutschen im Vatikan. Die NRZ sprach mit Kasper über das Miteinander der Konfessionen, die Pius-Bruderschaft und christliche Themen in der Politik.
Mancher fürchtet, der Vatikan konzentriere sich in Sachen Ökumene derzeit so sehr auf die Orthodoxen, dass der Kontakt zu den evangelischen Christen aus dem Blick gerät. Welche Zukunft hat die Ökumene mit den Protestanten, gerade in Deutschland?
Nähe zu den Orthodoxen
Walter Kasper: In Deutschland, dem Ursprungsland der Reformation, hat die Ökumene eine ganz besondere Bedeutung. Dies tritt bei uns in Rom auch gar nicht an die zweite Stelle. Wir sehen nur, dass wir den Orthodoxen im Glauben in vielen Dingen näher sind als den evangelischen Christen. Zudem laufen die Gespräche mit den Orthodoxen im Moment sehr gut. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch mit anderen Konfessionen sprechen. Wir machen da keine Prioritäten, sondern gehen jeden Dialog so weit, wie es im Augenblick möglich ist.
Und wenn es in Deutschland oft heißt, die Ökumene funktioniert vor allem an der Basis, in den Gemeinden vor Ort, muss ich sagen, dass wir auch in Rom hervorragende Kontakte etwa zu evangelischen Bischöfen haben.
Viele Protestanten sind immer noch irritiert über das Vatikan-Papier, das zwischen der „einen Kirche" und „kirchlichen Gemeinschaften" unterscheidet.
Kasper: Das Papier hätte in der Tat sensibler formuliert werden können. Es hat verletzt, das tut mir leid. In der Sache ist es jedoch völlig richtig: Jesus Christus wollte nur die eine Kirche. Aber es ist klar, die Unterschiede im Kirchenverständnis der Konfessionen müssen wir diskutieren.
Wie wichtig ist da der Ökumenische Kirchentag im kommenden Jahr?
Kasper: Sehr wichtig. Es ist der zweite nach dem in Berlin 2003. Diesmal wird man sich vor allem auf die Frage konzentrieren, was die Kirchen heute schon gemeinsam tun können, um die christlichen Werte in Europa hervorzuheben. Gerade angesichts der zunehmenden Säkularisierung ist es wichtig, dass die Christen mit einer Stimme sprechen.
Den Respekt der Muslime gewinnen
Auch mit Blick auf eine aktiver werdende muslimische Gemeinde?
Kasper: Das sicher auch. Ich muss nur immer wieder betonen, dass ich keine Angst vor den Muslimen habe. Sorgen macht mir die Schwäche der Christen. Wenn die Christen stark wären, könnten sie mit den Muslimen sprechen und bräuchten keine Angst vor ihnen zu haben. Dafür müssen wir unseren Glauben wieder aktiver bekennen und leben, dadurch gewinnen wir den Respekt der Muslime.
Hierzulande erscheinen die großen Kirchen alles andere als stark: Die Mitgliederzahlen sinken, es mangelt an Geistlichen, Gemeinden werden zusammengelegt. Wie soll sich da starker Glaube entwickeln?
Kasper: Ich will nicht die Strukturprobleme in Frage stellen, das wäre unehrlich. Aber die Kirche war in ihrer Geschichte nie auf die großen Zahlen angewiesen. Es waren oft kleine Gruppen, die sie wieder vorangebracht haben. Und angefangen hat es schließlich mal mit 12 Aposteln. Die Christen sollten die Freude am Glauben leben, anstatt über die schlechte Situation zu jammern. Wo Menschen jammern, da geht niemand gerne hin. Aber wo der Glaube freudig gelebt wird, wird er kräftiger und interessanter für andere.
Aber gerade viele Pfarrer, die diese Freude wecken sollen, sind in größer werdenden Gemeinden immer mehr Manager statt Seelsorger.
Kasper: Das ist in der Tat ein Problem. Viele Dinge in der Verwaltung könnte man zweifellos an Laien delegieren. Dann könnten sich die Pfarrer mehr auf ihre geistlichen Aufgaben konzentrieren. Das Wichtigste ist, dass Pfarrer eine ansprechende Liturgie feiern. Und sie müssen gut predigen. Dafür muss sich ein Pfarrer aber auch vorbereiten, da kann man nicht einfach sagen: Jetzt predigt der Heilige Geist.
Bei manchen Pfarrern habe ich allerdings den Eindruck, dass sie die Verwaltungsaufgaben noch am liebsten machen.
Plädoyer für mehr politisches Engagement
Es hat manchen enttäuscht, dass der Papst nun doch nicht zur Feier der Wiedervereinigung nach Deutschland kommt. Hat dies mit der Kritik der Bundeskanzlerin im Zusammenhang mit der Pius-Bruderschaft zu tun?
Kasper: Nein, da gibt es keinen Zusammenhang, auch wenn man die Kritik der Kanzlerin ein bisschen merkwürdig finden kann. Der Heilige Vater hatte nie versprochen, nach Deutschland zu kommen. Es gab da eine gewisse Erwartungshaltung, doch jetzt hat er andere Reisepläne. Die Einheit kann man sicher auch ohne ihn feiern. Und dass der Papst Deutschland verbunden ist und für seine Heimat betet, ist doch selbstverständlich.
Werden die Themen der Kirche von der deutschen Politik - gerade jetzt im Wahlkampf - noch wahrgenommen?
Kasper: Ich verfolge den Wahlkampf nur am Rande. Aber ich habe etwa noch die 50er Jahre erlebt - da waren kirchliche Themen in der Politik deutlich präsenter. Die heutige Situation möchte ich jedoch gar nicht den Politikern vorwerfen – es sind die Christen, die sich mit ihren Themen so deutlich zu Wort melden müssen, dass die Politik den Eindruck bekommt, die Christen haben etwas für das Gemeinwohl in Deutschland und in Europa zu sagen.
Das Thema Pius-Bruderschaft bleibt ein ungelöstes Problem. Statt sich vollständig zum II. Vatikanischen Konzil zu bekennen, weiht die Bruderschaft weiter eigene Priester. Wie lange kann die Kirche diese Provokation noch tolerieren?
Kasper: Der Heilige Vater möchte weiter eine endgültige Spaltung der Kirche vermeiden. Ob er damit Erfolg hat, liegt vor allem an den Pius-Brüdern. Leider haben wir bislang nicht allzu viele ermutigende Signale erhalten. Doch nun haben die Pius-Brüder und der Vatikan jeweils ihre Teilnehmer für eine gemeinsame Kommission bestimmt. Da wird es im Oktober ein erstes Treffen geben und man wird prüfen, wie weit man sich aufeinander zu bewegen kann. Wichtig ist, dass das II. Vatikanische Konzil fester Bestandteil unseres Glaubens ist und sich die Entwicklung seitdem nicht zurückdrehen lässt.
Hoffnung für das Ruhrbistum
Seit der Papst Bischof Felix Genn in Essen abberufen und zum Bischof von Münster bestimmt hat, warten die Katholiken im Ruhrgebiet nicht nur auf einen neuen Bischof. Manche sorgen sich auch, dass das erst 50 Jahre alte Bistum angesichts der Finanznöte wieder geschlossen werden könnte. Gibt es entsprechende Pläne?
Kasper: Ich bin für diesen Bereich nicht direkt zuständig, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man ernsthaft daran denkt, das Bistum aufzulösen. Das würde doch viel mehr Probleme machen, als sie das Ruhrbistum ohnehin schon hat. Ich bin mir sicher: Die Essener werden zu gegebener Zeit wieder einen Bischof bekommen, und sie sollten jetzt beten, dass sie einen guten bekommen. (NRZ)