Tripolis. . In Folterkellern und Gefängnissen machen die libyschen Rebellen grausige Funde. Die Anhänger Gaddafis haben etliche Gegner des Regimes brutal hingerichtet. Noch werden 50.000 Regimegegner vermisst.

Nach der Flucht der Gaddafi-Truppen haben die libyschen Rebellen erste Orte von Massakern an Zivilisten gefunden. Der Nationale Übergangsrat, der die Macht im Lande übernommen hat, schätzt, dass in den letzten sechs Monaten des Gaddafi-Regimes an die 60 000 Menschen in Gefängnissen und Folterkellern verschwanden, von denen erst 11 000 gefunden und befreit werden konnten. Zehntausende werden noch vermisst.

Einer der Schreckensorte ist das Gelände neben dem zerstörten Hauptquartier der gefürchteten 32. Brigade von Gaddafi-Sohn Khamis in Tripolis. Leichengeruch zieht aus dem verkohlten Metallschuppen. Die Toten wurden inzwischen von Anwohnern geborgen und bestattet. Als die Rebellen die Kaserne erobert hatten, kam für 50 hier gefangene Oppositionelle jede Hilfe zu spät. Kurz vor dem Untergang des Regimes waren sie von Khamis Elitesoldaten massakriert worden.

Fathallah Abdullah, der zusammen mit drei Söhnen hier eingesperrt war, überlebte als einziger seiner Familie. Alle waren erst eine Woche zuvor festgenommen worden, berichtete er. Die Schergen hätten ihre Opfer in die Baracke gepfercht – einem Verhörzentrum in der Gaddafi-Zeit. „Sie stellten uns nicht einmal Fragen“, sagte der alte Mann. „Sie verprügelten uns und beschimpften uns als Ratten.“

Granaten gegen Gefangene

Am Mordabend holten sie zuerst die Soldaten aus dem Raum, die den Schießbefehl verweigert hatten, und richteten sie auf dem Hof hin. Dann feuerten sie von oben durch das Blechdach auf die übrigen Gefangenen. Einer schleuderte durch die Tür drei Handgranaten ins Innere.

Die Rebellen vermuten weitere solcher Hinrichtungsstätten und Massengräber um den weitläufigen Kasernenkomplex herum. In Bab al-Aziziya, der Betonfestung um das Beduinenzelt Gaddafis, entdeckten die Aufständischen die Leichen von 150 Gefangenen, die mit Handgranaten ermordet worden waren.

Ein überlebender Augenzeuge berichtete Amnesty International, Wächter im Gharour-Gefängnis hätten alle Insassen seiner Zelle gezwungen, sich auf den Boden zu legen und dann das Feuer eröffnet. 23 Menschen starben. Und im Mitiga-Krankenhaus wurden kurz vor Zusammenbruch des Regimes noch 17 Leichen abgeliefert, die durch Schüsse in den Hinterkopf hingerichtet worden waren.

Szenenwechsel: Auf einem Gelände in Tripolis parken drei Schaufelbagger, mit de­nen Massengräber in der Umgebung ausgehoben wurden. Abubakr Tabib (31) war vier Tage lang in einer der acht klaustrophobischen Minizellen im Inneren des Gebäudekomplexes eingesperrt, zusammen mit seinem Bruder Feisal. Die beiden waren verhaftet worden, weil sie in Tripolis die Rebellenflagge an Hauswände gesprayt hatten.

Peiniger erkannt

„Innen war es 60 Grad heiß, wir hatten die Augen verbunden und bekamen kaum Luft“, berichtete er von der Tortur. „Du bist sicher, jetzt wirst du langsam sterben.“ Mehrmals wurde er aus dem Verhau geholt und so schwer zusammengeschlagen, dass er zeitweise das Bewusstsein verlor.

Danach verschleppten ihn Gaddafis Folterer in das Abu Salim Gefängnis, wo ihn die Rebellen zusammen mit 5000 weiteren Gefangenen vor drei Tagen befreiten. Einen seiner Peiniger jedoch hat er erkannt. In den nächsten Tagen will er ihn im Büro des Nationalen Übergangsrates zur Fahndung ausschreiben lassen.