Tripolis. .

Unter dem Rasen und den Bäumen, dem Swimmingpool und der orangefarben verputzten Villa von Libyens ehemaligem Machthaber Gaddafi erstreckt sich ein weitläufiges Tunnelsystem. Die Rebellen drangen in diese Unterwelt vor, in der Gaddafi eventuell geflüchtet ist.

Lange Gänge verbinden Bunker, Schlafräume und Kommandozentralen miteinander; Wendeltreppen führen nach oben ins Wohnhaus mit seinen luxuriös eingerichteten Räumen und den Familienfotos der Gaddafis. Die Beleuchtung funktioniert nicht hier unten. Die Telefone sind tot.

Als die libyschen Rebellen den geheimnisumwitterten Komplex Bab al-Asisija eroberten, auf dem der Diktator Muammar Gaddafi sein Hauptquartier und seinen Wohnsitz hatte, entdeckten sie das ausgeklügelte Tunnelnetz, von dem immer nur gerüchteweise die Rede gewesen war.

Viele glauben, dass das unterirdische Wegesystem ganz Tripolis verbindet - was erklären würde, dass Gaddafi unvermittelt irgendwo auftauchte und eine Rede hielt, obwohl ihn niemand hatte ankommen sehen. Manche vermuten auch, dass er vor den Aufständischen durch die Tunnel aus der Stadt geflohen ist. Ob das System allerdings wirklich über Bab al-Asisija hinaus reicht, ließ sich wegen der Schäden durch die Bombenangriffe der Natojetzt nicht feststellen.

Tripolis über und unter der Erde

Die Aufständischen überrannten das Gelände, erbeuteten große Mengen Waffen, zündeten das Haus an und drangen in die Unterwelt vor. „Es gibt ein Tripolis über der Erde und ein unterirdisches Tripolis“, staunt der 26-jährige Ismail Dola, der mit Kameraden die Tunnel erkundet. Wirklich überrascht sind sie nicht. „Normal eigentlich, dass jemand wie Muammar so etwas hat“, meint Riad Gneidi, das Sturmgewehr geschultert. „Jeder Diktator muss in Zeiten wie diesen eine Möglichkeit haben, sich zu schützen und zu flüchten.“

Bab al-Asisija war für die meisten Libyer immer ein Mysterium. Der riesige Komplex ist nicht zu übersehen, doch kein Straßenschild weist darauf hin. Kaum einer hat ihn je betreten. Viele wagten sich nicht einmal in die Nähe aus Furcht, die Wachposten auf den hohen grünen Mauern könnten sie verhaften oder gleich erschießen. Jetzt ist das Tunnelsystem die große Attraktion für die neugierigen Kämpfer der Rebellen.

Golfwagen und Riesenrad

Im Tunnel gefunden: ein kaputtes Golf-Kart. (Foto: ap)
Im Tunnel gefunden: ein kaputtes Golf-Kart. (Foto: ap) © AP

Die Gänge sind so hoch und so breit, dass hochgewachsene Männer aufrecht stehen und zwei Leute bequem nebeneinander gehen können. Die Wände sind aus dickem Beton, schwere Metalltüren schotten einzelne Abschnitte ab. Überall sind Gasmasken in Plastikbehältern und Vorräte an Wasser, Cola, Keksen und Tunfischdosen verteilt. Leere Kühlschränke stehen herum.

Manche Räume sind einfache Schlafquartiere mit Betten, kleinen Kühlschränken und Kommoden, vielleicht für Wachpersonal. Andere sind offensichtlich Bunker, mit dickeren Wänden und kleinen Metallluken. Am Ende eines Ganges liegt das Wrack eines weiß-grünen Golfwägelchens, wie es Gaddafi oft über das Gelände gesteuert hat.

Ein Komplex aus mehreren Räumen liegt unter der früheren Residenz Gaddafis, die die Amerikaner 1986 in Trümmer bombten. Der Treppenaufgang ist zugemauert, der Fahrstuhl kaputt. In einer anderen Abteilung finden sich Stockbetten, ein voll eingerichtetes Wohnzimmer, Bad, Küche und ein Büro mit kompletter Video-Aufnahmetechnik. Nebenan hat eine Bombe eingeschlagen, durch Löcher in der Decke scheint die Sonne. Der Blick durch eine Luke nach draußen fällt auf ein Karussell und ein kleines Riesenrad, Spielgerät für Gaddafis Enkel vielleicht.

Spitzname: „Die Ratte“

Die Rebellen haben Gaddafis Bunker eingenommen (Foto: ap)
Die Rebellen haben Gaddafis Bunker eingenommen (Foto: ap) © AP

Ein Tunnel führt zu dem mit grünen Metallwänden umzäunten, weitläufigen Wohnhaus der Gaddafis. Die Rebellen hatten es angezündet, doch einige Räume blieben intakt. Im großen, edlen Wohnzimmer finden sich Familienfotos: Gaddafi mit Nelson Mandela, sein Sohn Seif al Islam im Smoking bei einem Bankett. In einem Schlafzimmer stapeln sich DVDs, von James-Bond- bis Kung-Fu-Filmen. Auf einem Schreibtisch liegen Papiere, Einladungen, der Bittbrief eines Bauern an den „Bruder Führer“. Ein anderes Schlafzimmer ist voller Stofftiere und Englisch-Lehrbücher, im Badezimmer daneben steht „Love You“ in Rot auf den Spiegel geschrieben, der Toilettendeckel ist wie ein Marienkäfer gestaltet. Ein Katzenklo ist da, und ein Karton Katzenfutter.

Zwei Wendeltreppen führen in die Bunker darunter. In einem der Räume dort stehen einfache Tische an der Wand, darauf aufgereiht Dutzende rote Telefone, jedes mit dem Namen einer libyschen Stadt beschriftet. Alle Leitungen sind tot.

„Weißt du, welches Tier unter der Erde lebt?“, fragt Dola, der Kämpfer, und antwortet gleich selbst: „Die Ratte.“ Ein beliebtes Schimpfwort der Rebellen für Gaddafi, und umgekehrt. „Er ist irgendwo unter der Erde“, sagt Dola überzeugt. „Wo, weiß Gott allein.“(ap)

Muammar al Gaddafi

Auf den Straßen von Bengasi...
Auf den Straßen von Bengasi...
...feiern die Menschen den Einzug...
...feiern die Menschen den Einzug...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... Regierungszeit machten  Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den
... Regierungszeit machten Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den "König der afrikanischen Könige". Oberst Gaddafi, nach eigenen Worten 1942 in einem Beduinenstamm ... © AP/Sergei Grits
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den "Staat der Massen" aus. Der regiert sich ... © AP/Francois Mori
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ.
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ. © REUTERS
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ...
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ... © REUTERS
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht.
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht. © REUTERS
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ...
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ... © REUTERS
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt.
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt. © REUTERS
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden.
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden. © REUTERS
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ...
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ... © REUTERS
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags.
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags. © AFP
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ...
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ... © REUTERS
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen.
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen. © REUTERS
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