New York/Berlin/Tripolis. Rebellen fordern UNO zur Freigabe des gesamten eingefrorenen Vermögens des Gaddafis-Regimes auf. Die Freigabe von 1,5 Milliarden Dollar werten sie als positives Signal. Regierungschef der Rebellen trifft sich mit dem türkischen Außenminister.
Während die erbitterten Kämpfe in Tripolis andauern, fordern die Rebellen die Vereinten Nationen zur Freigabe des gesamten eingefrorenen Vermögens des Gaddafi-Regimes auf. Die bisherige Freigabe von 1,5 Milliarden Dollar werten sie als positives Signal. Regierungschef der Rebellen trifft sich mit dem türkischen Außenminister.
Der Regierungschef des Übergangsrates, Mahmud Dschibril, hat eine weitere Freigabe von im Ausland eingefrorenem libyschen Vermögen gefordert. Für die erfolgreiche Arbeit einer künftigen Regierung nach dem Sturz von Machthaber Muammar el Gaddafi sei die Verfügbarkeit von Ressourcen unabdingbar, sagte Dschibril am Freitag nach einem Gespräch mit dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu in Istanbul. Geld sei unter anderem für die Gesundheitsversorgung nötig. Auch hätten die Beamten des Landes seit Monaten kein Gehalt bekommen.
Dschibril sprach von hohen Erwartungen der Libyer an eine neue Regierung nach sechs Monaten voller Kämpfe und Entbehrungen. Nach seinem Treffen mit Davutoglu wollte sich Dschibril auch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan treffen.
Davutoglu verlangt Freigabe aller gesperrten libyschen Guthaben
Davutoglu verlangte die Freigabe aller gesperrten libyschen Guthaben für den Nationalen Übergangsrat der Rebellen in Libyen. Die vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Freigabe von 1,5 Milliarden Dollar sei ein positiver Schritt, doch er reiche nicht aus. „Alles, was dem libyschen Volk gehört, muss auch dem libyschen Volk gegeben werden“, sagte er.
Nach der Einigung zwischen den USA und Südafrika am Donnerstag hatte das UN-Sanktionskomitee die Freigabe von 1,5 Milliarden Dollar (mehr als eine Milliarde Euro) beschlossen. Das Geld soll für humanitäre Zwecke verwendet werden. Südafrika, das den libyschen Nationalen Übergangsrat nicht anerkannt hat, hatte eine Freigabe blockiert. Italien bereitet die Freigabe von 505 Millionen Dollar des dort eingefrorenen Gaddafi-Vermögens vor.
Turkish Airlines sollen bald wieder nach Bengasi fliegen
Der türkische Außenminister verwies darauf, dass Ankara dem Übergangsrat 100 Millionen Dollar an Beihilfen und weitere 200 Millionen Dollar an Krediten eingeräumt habe. Ein Teil dieser Summen sei noch nicht abgerufen worden und könne dazu benutzt werden, den Libyern das traditionelle Fest am bevorstehenden Ende des Fastenmonats Ramadan in der kommenden Woche zu verschönern.
Davutoglu sagte zudem, der Flughafen in der ostlibyschen Stadt Bengasi solle schnell wieder geöffnet werden. Die türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines werde voraussichtlich schon in den kommenden Tagen ihre Flüge nach Bengasi wieder aufnehmen.
Aufständische geben Verlegung ihrer Führung nach Tripolis bekannt
Die Aufständischen in Libyen haben die Verlegung ihrer Führung von Bengasi im Osten des Landes in die Hauptstadt Tripolis bekannt gegeben. Das teilte der Finanzminister des Übergangsrats der Rebellen, Ali Tarhuni, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Tripolis mit. Aufständische und Regierungstruppen lieferten sich in der Hauptstadt am Donnerstag schwere Gefechte. Reporter der Nachrichtenagentur AP berichteten aus dem Stadtviertel Abu Salim, es habe schwere Explosionen gegeben.
Gaddafi rief in einer Audiobotschaft seine Anhänger erneut zum Kampf „gegen die Ratten“ auf. „Nehmt die Dächer ein, die Moscheen, die Seitenstraßen; es gibt keinen sicheren Ort für die Feinde“, sagte er in der vom Fernsehsender Al-Ouraba TV, einer Satellitenstation mit Sitz in Syrien, ausgestrahlten Botschaft.
Menschenrechtsorganisation berichtet über Gräueltaten auf beiden Seiten
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft beiden Seiten Gräueltaten vor. Insassen in dem berüchtigten Gefängnis Abu Salim in Tripolis hätten über Vergewaltigung und Folter zu Zeiten berichtet, als die Haftanstalt noch vom Gaddafi-Regime kontrolliert worden sei. Trotz der wiederholten Versprechen der Aufständischen, die Menschenrechtsverletzungen des Gaddafi-Regimes nicht zu wiederholen, hätte eine Delegation vor Ort 125 Menschen in einer überfüllten Zelle angetroffen, in der die Gefangenen kein Platz gehabt hätten, sich zu bewegen. Einige Gefangene berichteten, sie seien keine Söldner Gaddafis, sondern Wanderarbeiter.
Die Straßen von Tripolis waren mit von Kugeln durchsiebten Leichen übersät. Etwa zwei Dutzend Leichen, einige an den Händen geknebelt und mit Schussverletzungen am Kopf, lagen verstreut auf einer Grasfläche, wo Gaddafi-Anhänger über Monate hinweg kampiert hatten.
Atomares Material in Libyen nach US-Angaben sicher
In Washington wies das Pentagon Berichte zurück, wonach die Nato oder das US-Militär sich an der Suche nach Gaddafi beteilige. Die USA führe in Libyen eine Luftüberwachung durch, um Zivilisten vor Angriffen von Gaddafi-Truppen zu schützen, sagte ein Militärvertreter. Der britische Verteidigungsminister Liam Fox hatte am Donnerstag erklärt, dass Nato-Geheimdienst- und Ausspähungsmaterial bei der Suche nach Gaddafi eingesetzt werde.
Die Rebellen erklärten, eine ihrer Hauptziele sei nun Gaddafis-Geburtsstadt Sirte, rund 400 Kilometer von Tripolis entfernt.
Die US-Regierung geht davon aus, dass inmitten der Kämpfe in Libyen atomares Rohmaterial und tödliche Chemikalien dort sicher gelagert sind. Das Außenministerium in Washington erklärte am Donnerstag, heikle Bestandteile des libyschen Atomprogramms seien bereits bis 2009 entfernt worden. US-Geheimdienstmaterial deute darauf hin, dass das verbliebene Urankonzentrat sicher in einer Forschungseinrichtung gelagert und die Bestände von Senf-Wirkstoffen in Bunkern untergebracht seien, sagte Sprecherin Victoria Nuland.
Verteidigungsminister de Maiziére (CDU) rechnet nicht mit Bundeswehreinsatz in Libyen
Die Spitze des Verteidigungsministeriums diskutiert öffentlich darüber, ob Deutschland zur Beteiligung an einer internationalen Stabilisierungstruppe für Libyen aufgefordert werden könnte. Verteidigungsminister Thomas de Maiziére (CDU) sagte dem Berliner „Tagesspiegel“, ein jahrelanger Bürgerkrieg drohe glücklicherweise wohl nicht. „Ich gehe davon aus, dass die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im Land sorgen kann und dazu keine Hilfe von außen braucht“, sagte er.
Sein Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt (CSU) sagte dagegen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Es kann sein, wenn die Vereinten Nationen, die EU oder die NATO das für notwendig halten, dass man zu Stabilisierungshilfe auch mit militärischen Elementen aufgefordert wird.“ Deutschland könne dann im Rahmen seiner Interessen und internationalen Verantwortung nicht abseitsstehen. (dapd/afp)