Tripolis.. Gaddafi ist geschlagen – aber noch nicht gefasst. Noch treiben seine Anhänger ihr Unwesen in Tripolis und morden weiter. Unser Reporter Martin Gehlen hat sich in der libyschen Hauptstadt umgesehen.
Gaddafi ist geschlagen – doch Tripolis ist noch nicht sicher. Auch wenn die Rebellen die meisten Bezirke der libyschen Hauptstadt fest in der Hand haben. Die Straßen sind leergefegt, fast alle Läden geschlossen. Rund um die Uhr wird weiter geschossen und gestorben – auch am Tag fünf nach der Stunde Null.
Die Stadt ist weiterhin voll mit Gaddafi-Treuen, die jetzt ihre Uniformen abgelegt haben, um nachts wahllos Landsleute zu morden. Stundenlang sind die dumpfen Explosionen der Nato-Angriffe zu hören. Hohe Rauchwolken stehen am Himmel. Am Abend lassen Bewohner nahe der Altstadt ein kleines Jubelfeuerwerk in den Nachthimmel steigen – gedacht als farbiger Vorbote eines endlich friedlichen, freien und angstlosen Lebens.
Verlassenes Labyrinth
Doch die eigentliche Jagd gilt jetzt dem gestürzten Diktator Muammar Gaddafi. Auch Nato-Soldaten der britischen SAS-Spezialkräfte beteiligen sich an der Suche. In seinem Hauptquartier steckt der Despot nicht mehr – in seinem Tunnel-Labyrinth unterhalb von Tripolis fanden die Rebellen nur verlassene Schlafräume, Essenvorräte für viele Woche und Gasmasken, jedoch keinen Gaddafi.
In der Nähe des Flughafens wollen die Aufständischen einen Konvoi aus drei schwarzen Geländewagen gesichtet haben. Vielleicht ein letzter Versuch, sich mit einem Jet davon zu machen.
Die Straße zum Flughafen im Süden der Stadt, aber auch das Gelände um das ehemalige Hauptquartier Gaddafis sind voll mit Scharfschützen. Sie halten sich auf den Dächern der Hochhäuser verschanzt und treffen mit ihren russischen Präzisionsgewehren auf 1000 Meter Entfernung ihr Ziel. „Wir fahren den ganzen Tag dorthin und suchen nach Verletzten. Oft kann niemand von uns aussteigen und die Opfer bergen, weil wir dann auch selbst getroffen würden“, sagt Mahmud al-Chady, der in Paris Wirtschaft und Verwaltung studierte, und sich jetzt – wie viele andere – als Helfer nützlich macht.
Offiziell gibt die Rebellenführung bisher an, bei den Kämpfen seien 400 Menschen getötet und 2000 verwundet worden. Die wirklichen Opferzahlen liegen wohl wesentlich höher. Allein al-Chady hat in den letzten beiden Tagen mit seinem Freiwilligenteam 180 Tote ins Leichenschauhaus des Shara-Zawiyah-Krankenhauses gebracht.
Alle fünf Minuten treffen in dem heruntergekommenen Kolonialbau aus italienischer Zeit Verletzte ein – herbeigekarrt in klapprigen Taxis, aber auch in luxuriösen Privatwagen. Alle haben Schusswunden von Scharfschützen. Ständig wischen Helfer mit Mundschutz die Blutlachen von der gekachelten Rampe, während im Operationssaal den Ärzten die Medikamente ausgehen.
Im Gefängnis gequält
Einer, der sich noch vor die Tür traut, ist Zuhair Marouf. Der Vater von fünf Kindern hat es sich auf einem großen Blumentopf in seiner schmalen Straße im Stadtteil al-Daraa bequem gemacht und strahlt. Zweimal wurde er verhaftet und wochenlang im Gefängnis gequält, „nur weil ich einen Bart trage und täglich in die Moschee zum Beten gehe“, sagt er. „Wir hatten 40 Jahre Angst, jetzt wird es jeden Tag besser.“
Am Galgen aber will er Gaddafi nicht sehen, sondern eingesperrt bis zu seinem Lebensende. „Wenn man ihn aufhängt, ist er schnell vergessen“, meint der 48-Jährige. „Sperrt man ihn aber lebenslänglich ein, steht er den Leuten jeden Tag abschreckend vor Augen.“
Nagelneue Schnellfeuergewehre
Hunderte von Untergrundzellen hatten seit Mai haarklein die Erhebung in Tripolis vorbereitet, deren Bewohner sechs Monate nach dem Aufstand im Osten des Landes immer mehr in den Ruf gerieten, regimetreu oder ganz einfach feige zu sein. Die konspirative Kommunikation lief vor allem über Walkie-Talkies, da das Regime über Gaddafis Sohn Mohammed die Handynetze kontrollierte.
Durch Schmuggler sickerten Abertausende nagelneuer Schnellfeuergewehre in die Wohnviertel. Vorbei sind die Zeiten, wo die Kämpfer naiv im Polohemd und mit Schießprügeln aus dem Militärmuseum unterwegs waren. Die makellosen Schutzwesten und Tarnuniformen der Rebellen sind vom gleichen Typ, mit denen die USA die irakische Armee ausgerüstet hat. Viele tragen kleine Plastikkarten mit Name, Foto und Blutgruppe um den Hals. Die „Offiziere“ haben vier Monate ein hartes Kampf- und Waffentraining absolviert.
Waffen aus Arabien
„In Tripolis hat die gute militärische Ausrüstung den Ausschlag gegeben, unsere Motivation war ja sowieso stets ungebrochen“, erläutert Khaled al-Mahdi, enger Mitarbeiter des Provisorischen Nationalen Übergangsrates, der eigentlich gerade an der Universität Berlin über Lasertechnik promoviert. Als Waffenlieferanten für die Rebellen traten in erster Linie Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate in Erscheinung – beide enge Verbündete der USA.