New York. . Der wegen Vergewaltigung beschuldigte frühere Chef des Internationalen Währungsfonds, Strauss-Kahn, ist am Freitag von einem New Yorker Richter unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden. Grund sind erhebliche Zweifel an der Aussage der Kronzeugin.

Dramatische Wende im Fall Dominique Strauss-Kahn: Die Anklage gegen den früheren IWF-Chef wegen versuchter Vergewaltigung könnte schon bald wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Ein Richter in New York entschied am Freitag, Strauss-Kahn gegen Auflagen aus dem Hausarrest frei zu lassen. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft zugestimmt, die gegen Strauss-Kahn verhängte Kaution aufzuheben. Die Ermittlungen würden aber nicht eingestellt, erklärte die Anklage bei der kurzfristig angesetzten Gerichtsanhörung.

Strauss-Kahn hat die Vergewaltigungsvorwürfe der 32-Jährigen aus Guinea stets vehement bestritten. Überraschend wurde eine Anhörung Strauss-Kahns noch am Freitagmorgen (Ortszeit) anberaumt. Seinem Anwalt zufolge wollte der Franzose eine Lockerung seines Hausarrests beantragen. Die Entscheidung des Gerichts könnte den Weg für ein politisches Comeback des 62-Jährigen ebnen. In Frankreich galt der dort DSK genannte Politiker bis zu seiner Festnahme im Mai als Hoffnungsträger der Sozialisten und aussichtsreichster Herausforderer von Präsident Nicolas Sarkozy.

Wiederholt gelogen

„Die Glaubwürdigkeit steht infrage“, sagte die mit dem Fall vertraute Person mit Blick auf die Hotelangestellte. Ein anderer Eingeweihter erklärte, die Staatsanwaltschaft habe den Fall zur Anklage gebracht, ohne den Hintergrund der Belastungszeugin hinreichend zu überprüfen. „So ziemlich alles, was über diese Frau berichtet wurde, war von Anfang an falsch. Aber niemand hat nachgeforscht oder wollte etwas anderes glauben.“

Die „New York Times“ berichtete unter Berufung auf Justizkreise, gerichtsmedizinische Beweise belegten zwar sexuelle Kontakte zwischen Strauss-Kahn und der Putzfrau in dem Manhattaner Luxushotel. An ihrer Darstellung einer Vergewaltigung seien aber Zweifel aufgekommen. Auch habe die Frau in der Vergangenheit wiederholt gelogen - unter anderem im Zusammenhang mit ihrem Asylantrag - und habe möglicherweise Verbindungen zur Kriminalität. So könnte sie in Zusammenhang zu Drogendelikten und Geldwäsche stehen. Die Anwälte Strauss-Kahns und die Ankläger berieten nun darüber, ob die Verbrechens-Vorwürfe gegen den Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) fallengelassen werden sollten.

Finanzielle Vorteile erörtert?

Die „New York Times“ berichtete unter Berufung auf zwei hochrangige Justizvertreter zudem von einem aufgezeichneten Telefongespräch der Hotelangestellten, in dem sie die finanziellen Vorteile einer Anklage Strauss-Kahns erörtert haben soll. Das Gespräch führte die Putzfrau demnach mit einem inhaftierten Mann binnen eines Tages, nachdem es nach ihren Angaben zu der Vergewaltigung gekommen sein soll. Der Mann soll wegen des Besitzes von knapp 200 Kilogramm Marihuana einsitzen. Er soll zu einem Kreis von Personen gehören, die in den vergangenen zwei Jahren insgesamt rund 100.000 Dollar auf das Konto der Frau überwiesen haben. Sie soll zudem ausgesagt haben, dass sie eine frühere Vergewaltigung in ihrem Asylantrag schildert. Darin wurde aber keine solche Darstellung gefunden.

Weitreichende Auswirkungen auf die französische Politik

Strauss-Kahn hatte auf nicht schuldig plädiert. Seine Anwälte räumen aber ein, dass es einvernehmlich sexuelle Kontakte zwischen dem Franzosen und der afrikanischen Immigrantin gegeben hat. Ermittlungsnahen Kreisen zufolge wurde Sperma auf ihrer Kleidung gefunden. Die Affäre zwang Strauss-Kahn zum Rücktritt vom Chefposten des Währungsfonds, wo die ehemalige französische Finanzministerin Christine Lagarde am Dienstag die Nachfolge ihres Landsmanns antreten soll.

Sollte die Klage insgesamt fallengelassen werden, könnte dies weitreichende Auswirkungen auf die französische Politik haben. Strauss-Kahn könnte doch noch selbst für die Sozialisten ins Rennen um das Präsidentenamt gehen oder zumindest versuchen, das gespaltene Lager der Linken zu einen. Hier buhlen Parteichefin Martine Aubry und der ihr in Umfragen überlegene Francois Hollande um die Vorherrschaft. Strauss-Kahn galt bis zu seiner Verhaftung als Hoffnungsträger der Linken im Wettbewerb mit Sarkozy. DSK führte die Umfragen zur Präsidentenwahl 2012 an.

„Wunderbare Nachrichten“

„Das sind wunderbare Nachrichten für Dominique, Anne Sinclair, und seine Familie“, sagte der Strauss-Kahn nahestehende sozialistische Abgeordnete Jean-Marie Le Guen im französischen Fernsehen. „Sie müssen das Gefühl haben, aus einem schrecklichen Alptraum aufzuwachen.“ Dies sei eine Genugtuung für alle, die an Strauss-Kahns Unschuld geglaubt haben.

Strauss-Kahn war nach seiner Festnahme wie nach amerikanischem Recht üblich öffentlich vorgeführt worden. Diese von großem Medienrummel begleitete Prozedur wurde von vielen Europäern als entwürdigend empfunden und sorgte in Strauss-Kahns Heimat für einen Aufschrei der Entrüstung. Einige Beobachter äußerten die Vermutung, dass der bei vielen Franzosen als Charmeur und Frauenheld geltende Strauss-Kahn von Gegnern in eine Falle gelockt worden sein könnte. Der Fall DSK hat in Frankreich eine weitreichende Debatte um die Stellung der Frau in der Gesellschaft und um bislang weithin tolerierte Freiheiten von Männern in Machtpositionen losgetreten. (rtr/ap/afp)