Istanbul. . Die Partei des türkische Ministerpräsidenten Erdogan, AKP, hat die Parlamentswahl laut ersten Teilergebnissen klar gewonnen, das Ziel einer Zweidrittel-Mehrheit aber verfehlt. Damit wollte Erdogan im Alleingang eine neue Verfassung verabschieden.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Parlamentswahl vom Sonntag laut ersten Teilergebnissen klar gewonnen, das selbst gesteckte Ziel einer Zweidrittel-Mehrheit aber verfehlt.
Nach Auszählung von 62 Prozent der Stimmen konnte Erdogans religiös-konservative Regierungspartei AKP mit einem neuen Rekordergebnis von 51,9 Prozent der Stimmen rechnen, wie türkische Nachrichtensender meldeten.
Diesen ersten Ergebnissen zufolge konnte die AKP ihr Ergebnis im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren noch einmal deutlich steigern: 2007 hatte die seit 2002 regierende AKP 46,6 Prozent der Stimmen erhalten. Seit Einführung des Mehrparteiensystems in der Türkei 1946 haben Parteien erst dreimal die Marke von 50 Prozent der Stimmen übertroffen.
Zweidrittelmehrheit verfehlt
Nach der AKP kommen die größte Oppositionspartei, die säkularistische CHP, auf 24 Prozent der Stimmen und die rechtsgerichtete MHP auf 13,4 Prozent. Nach den Prognosen werden etwa 28 Abgeordnete der Kurdenpartei BDP im neuen Parlament sitzen. Die AKP wird demnach eine absolute Mehrheit von 330 Sitzen im 550 Sitze zählenden Parlament haben. Dies ist zwar eine deutliche Mehrheit, aber weit von der Zweidrittelmehrheit von mindestens 367 Mandaten entfernt.
Erdogan hatte die Zweidrittelmehrheit angepeilt, um in der neuen Legislaturperiode mit seiner Partei quasi im Alleingang eine neue Verfassung ausarbeiten und verabschieden zu können. Mit 330 oder mehr Sitzen könnte die AKP zumindest einen Verfassungstext vom Parlament beschließen lassen, der dann aber in einem Referendum gebilligt werden müsste.
Mehrere Erdogan-Kritiker ziehen ins Parlament ein
Es war am Sonntagabend zunächst unklar, ob die Erdogan-Partei die Zahl von 330 Mandaten würde halten könnten. Sollte sie diese Marke unterschreiten, so müsste sie sich mit den übrigen Parteien über den Verfassungstext einigen.
Wie die türkischen Fernsehsender weiter berichteten, ziehen mehrere Erdogan-Kritiker ins Parlament ein, die derzeit wegen Putschvorwürfen in Untersuchungshaft sitzen. So errangen der Journalist Mustafa Balbay sowie der Akademiker Mehmet Haberal Mandate für die CHP.
Wahlberechtigt waren rund 50 Millionen Bürger. Um die 550 Mandate bewarben sich 15 Parteien und 200 parteilose Kandidaten. Ein Wahlsieg der AKP war erwartet worden; die Frage war eher, wie hoch er ausfallen würde. Ohne Zweidrittelmehrheit wird sie sich mit anderen Parteien über die angekündigte neue Verfassung abstimmen müssen, die die geltende aus den 80er Jahren ablösen soll.
Vereinzelte Festnahmen
Die Wahllokale hatten um 16.00 Uhr MESZ geschlossen. Ergebnisse dürfen eigentlich erst ab 20.00 Uhr MESZ bekanntgegeben werden, doch waren auch bei früheren Wahlen schon Teilresultate durchgesickert.
Um Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten zu begegnen, wurden statt hölzerner Urnen erstmals durchsichtige Plastikkästen verwendet, in denen die gelben Wahlumschläge gut sichtbar blieben. Die Wahl verlief weitgehend friedlich und ohne größere Zwischenfälle.
In der Provinz Sanliurfa im Südosten wurden vier Personen unter den Verdacht festgenommen, mit den Wahlkarten anderer Leute mehrfach abgestimmt zu haben. In der Hauptstadt Ankara löste die Polizei mit Warnschüssen und Tränengas ein Handgemenge in einem Wahllokal auf, wo der Nachrichtenagentur Anatolia zufolge eine Gruppe von Wählern einer anderen unrichtigerweise gefälschte Wahlunterlagen unterstellt hatte. In der Provinz Batman wurden nach Meldungen der Agentur 34 Personen festgenommen, die versucht haben sollen, andere zur Stimmabgabe für die kurdische Partei für Frieden und Demokratie zu zwingen. Die ging mit Einzelkandidaten ins Rennen, um die Zehn-Prozent-Hürde zu umgehen.
Opposition vermisst Konsens
Erdogan wurde bei der Stimmabgabe in Istanbul von Anhängern gefeiert, die riefen: „Die Türkei ist stolz auf dich!“. Doch seine Regierung ist trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs und der zunehmend einflussreicheren außenpolitischen Rolle Ankaras nicht unumstritten. So wirft die Opposition der AKP vor, den Machterhalt auf Kosten des politischen Konsenses anzustreben.
Die künftige Verfassung soll diejenige ablösen, die 1982 vom Militär verordnet wurde. Zwar hat Erdogan versprochen, dass sie „Grundrechte und Freiheiten“ beinhalten und das Land demokratischer machen werde. Genaues über einen möglichen Entwurf nannte er indes nicht. Trotz ausstehender politischer Reformen, dem anhaltenden Konflikt mit der Volksgruppe der Kurden sowie der internationalen Sorge über die Pressefreiheit in dem Land gilt die Wahl Beobachtern als Indikator der Stabilität. (afp/ap)