Berlin/Essen. . Die Bildungspolitik steht vor einem radikalen Umbruch. Die CDU will die Hauptschule abschaffen. Opposition und FDP nehmen am Kooperationsverbot Anstoß. Die Bildungshoheit der Bundesländer soll kippen.
Die Bildungspolitik steht vor einem radikalen Umbruch. Die CDU will die Hauptschule abschaffen. Opposition und FDP nehmen am Kooperationsverbot Anstoß, das dem Bund untersagt, den Ländern in der Schulpolitik reinzureden. „Die CDU soll erst einmal den Weg frei machen für die Aufhebung des Kooperationsverbotes“, erklärte FDP-Generalsekretär Christian Lindner zum Unions-Vorstoß gegen die Hauptschule.
„Gut wäre, wir würden einen Schulkonsens finden, mit vergleichbaren Angeboten von Flensburg bis München“, sagte SPD-Bildungsexperte Ernst Dieter Rossmann der WAZ. Ein ambitioniertes Vorhaben: Schließlich gibt es 96 verschiedene Schulformen im föderalen Deutschland.
SPD und Grüne fordern Abi-Option für alle
Die Bildungskommission der Bundes-CDU plädiert für die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule zur Oberschule, die einen mittleren Bildungsabschluss anbieten soll – ohne Abitur. SPD und Grüne wollen eine Abitur-Option für alle. Ebenso der Dortmunder Bildungsforscher Ernst Rösner: „Ohne gymnasiale Standards in beiden Systemen funktioniert es nicht“.
Anders als die Berliner Parteifreunde hält der Bildungsexperte der NRW-CDU, Thomas Sternberg, an der Bildungshoheit der Länder fest. Wer meine, ein einheitliches System hebe die Leistungsunterschiede zwischen den Ländern auf, unterliege einem „Irrglauben“, sagte er.
Bei Schule hört die Einheit auf
Jedes der 16 Bundesländer nutzt derzeit munter sein im Grundgesetz verbrieftes Recht, Schulpolitik nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Mittlerweile liegt die Entscheidung über die angebotenen Schulformen zum Beispiel in NRW sogar zum Teil bei den Kommunen; was das System vielleicht nicht schlechter, mit Sicherheit aber unübersichtlicher macht.
Weitgehend einheitlich sind in Deutschland heute allein die Namen der Abschlüsse an allgemeinbildenden Schulen: inwieweit diese Abschlüsse bundesweit aber wirklich vergleichbar sind, weiß niemand so genau. Die Lehrpläne und -bücher sind ebenso unterschiedlich wie die Prüfungen – vor allem beim Abitur.
Gemeinsame Standards in Arbeit
Zwar wurde in Berlin eigens das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen gegründet, das seit 1997 im Auftrag der Kultusministerkonferenz an Standards für die Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen arbeitet. Aber bislang gibt es solche gemeinsamen Standards nur für Mathe, Deutsch und die erste Fremdsprache beim Hauptschul- und Mittleren Abschluss sowie beim Realschulabschluss auch in Biologie, Physik und Chemie.
Dabei sind gerade im Bereich der Sekundarstufe I die Schulformen bundesweit besonders vielfältig. In Nordrhein-Westfalen stehen für Klasse fünf bis zehn Haupt-, Real-, Verbund-, Gesamtschulen und ab August auch Gemeinschaftsschulen sowie Gymnasien zur Auswahl.
Werkreal- statt Hauptschule
In Baden-Württemberg hat die Werkrealschule die Hauptschule ersetzt, eine Realschule gibt es trotzdem noch. Gymnasien sollen dort künftig zwischen acht und neun Jahren Lernzeit bis zum Abitur wählen können und wo sie von Eltern und Kommune erwünscht sind, sollen auch Gemeinschaftschulen möglich werden, hat die neue Grün-Rote Koalition angekündigt.
Reine Hauptschulen gibt es außer in NRW nur noch in Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bayern. Die östlichen Bundesländer haben die Hauptschule nach der Wende erst gar nicht eingeführt. Dort gibt es Mittelschulen (Sachsen), Regelschulen (Thüringen) und Regionale Schulen (Mecklenburg-Vorpommern), die zwar unterschiedlich heißen und sich in Details auch unterscheiden, unterm Strich jedoch schlicht die Angebote von Haupt- und Realschulen vorhalten.
Berlin hat die Hauptschulen gerade komplett abgeschafft. Der von Kritikern befürchtete verstärkte Ansturm auf die Gymnasien (weil Realschuleltern ihre Kinder nicht mit Hauptschülern unterrichtet sehen wollen) blieb dort aus. Berlin und Brandenburg haben zudem als einzige Länder eine sechsjährige Grundschulzeit. Erst nach Klasse sechs wird dort sortiert in die neue „integrierte Sekundarschule“ oder Gymnasium. Eine Berliner Besonderheit sind Gemeinschaftsschulen, die von Klasse eins an alle Abschlüsse bis zum Abitur anbieten.
Bürgerbegehren gegen sechs Jahre Grundschule in Hamburg
Ein Vorstoß des Senats zur Verlängerung des generell längeren gemeinsamen Lernens bis zur siebten Klasse in Hamburg scheiterte 2010 an einem Bürgerbegehren dagegen. Eine Spezialität hat sich Hamburg aber erhalten: Die Stadtteilschulen, die mehrere Abschlüsse anbieten.
Welche Schulform es nach der Grundschule sein soll, bleibt in den meisten Bundesländern der Einschätzung der Eltern überlassen. Bundesweit sind nur in Sachsen und Bayern Eltern an die Empfehlung der Grundschule gebunden.
Kleine Länder vorn
Besonders kompliziert ist das System auch in Rheinland-Pfalz. Dort gibt es neben normalen Realschulen noch die Realschule plus bis Klasse 12, zusätzlich zu Fachober-, Gesamtschulen und Gymnasien.
Wegweisend scheinen derzeit kleine Länder wie das Saarland, wo es unter einem CDU-Ministerpräsidenten neuerdings nur noch Gemeinschaftsschulen und Gymnasien gibt. Und auch in Bremen hat der rot-grüne Senat Oberschulen mit Gemeinschaftsunterricht bis Klasse zehn als einzige Alternative zum Gymnasium eingeführt.