Essen. . Mit einer Regierungsumbildung versucht die FDP, sich in der Bundespolitik aus der Krise zu manövrieren. Vielmehr müssen sich die Liberalen als politische Marke neu definieren, meint der Parteienforscher Jan Treibel. Welche Inhalte können das sein?
Wäre die Sonntagsfrage mit direkten Konsequenzen für die politsche Zusammensetzung von Parlamenten verbunden – die FDP wäre seit der Wahl im September 2009 längst aus dem Bundestag verschwunden. Wär’ das ein Verlust? Fragen an den Duisburger Parteienforscher Jan Treibel.
Herr Treibel, braucht es in der Bundespolitik noch eine FDP?
Treibel: Die FDP hat bei der letzten Wahl bundesweit knapp 15 Prozent der Stimmen erreicht – so gesehen wird sie offenbar gebraucht.
Sie hat seitdem in vier Landtagswahlen kräftig Stimmen eingebüßt und liegt in Wahlumfragen unterhalb der 5-Prozent-Marke.
Treibel: Ganz klar, die FDP ist in der Krise, momentan sie liegt am Boden.
Dann ist sie also keine wichtige politische Kraft mehr?
Treibel: Das Problem ist aktuell ihr Glaubwürdigkeitsverlust. Sie wurde für Steuersenkungen gewählt, nur sind diese bisher ausgeblieben.
Kernthema Freiheits- und Bürgerrechte
Wofür stand die FDP mal?
Treibel: Die Partei ist 1948 gegründet worden aus einer großen Tradition des organisierten Liberalismus in Deutschland. In der Kaiserzeit und der Weimarer Republik gab es mehrere liberale Parteien: Die eher wirtschaftsnahen Rechtsliberalen und die liberal-demokratisch orientierten Linksliberalen, die in der historischen Auseinandersetzung mit der Monarchie auf mehr Parlamentarismus und Demokratie hingewirkt haben.
Für welche politischen Themen sollte eine FDP sich heute einsetzen?
Treibel: Die Begriffe „Liberal“ und „Freiheit“ sind Kernideen der FDP. Daraus hat die Partei zuletzt deutlich zu wenig gemacht. Sie muss jetzt aus der Nische der „Klientelpartei“ heraus. Dazu braucht die FDP ein neues thematisches Alleinstellungsmerkmal und einen „Markenkern“. Die zentrale Frage, die die neue Parteiführung beantworten muss, lautet: Wofür soll die FDP in Zukunft gewählt werden?
Generalsekretär Lindner hatte nach dem Unglück in Fukushima im März damit überrascht, die Grünen in der Frage des Atomausstiegs überholen zu wollen.
Treibel: Auf diesem Feld wird den Grünen von den Bürgern einfach mehr Kompetenz zugeschrieben. Klassische Themen der Liberalen sind die Freiheits- und Bürgerrechte. Das wurde zuletzt viel zu wenig in den Vordergrund gerückt. Die Debatten um mehr Datenschutz und um die Verlängerung der Anti-Terrorgesetzte, die jetzt ansteht, sind Themen, bei denen die Partei politisch wieder Profil gewinnen kann.
Die nächsten Wahlen nahen. Sehen Sie noch eine Chance, dass die FDP wieder bei den Wählern ankommt?
Treibel: Keine Partei bei uns hat so große Erfahrung mit historischen Niedergängen wie die FDP. Nehmen Sie die 1990er Jahre als Beispiel: Damals war die FDP mit elf Prozent bei der Bundestagswahl in das Jahrzehnt gestartet. Danach ist sie bei nahezu allen Wahlen eingebrochen, bis Guido Westerwelle im Jahr 2001 den Parteivorsitz übernahm. Die Partei sollte man nicht so schnell abschreiben.