Brüssel. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger soll EU-Kommissar Günter Verheugen ablösen. Die Personalie kommt überraschend - denn bisher hat der künftige Vertreter der Bundesrepublik in Brüssel wenig Erfreuliches erlebt.

Ausgerechnet Günther Oettinger: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mit der Berufung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten als Nachfolger des scheidenden deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen zweifelsohne eine Überraschung gelungen. Denn wer hätte gedacht, dass es Oettinger gerade dorthin zieht, wo er zuletzt politische Niederlagen erlitt.

Mehrere politische Niederlagen

Beispiel Porsche: Die EU-Kommission war immerhin mitverantwortlich dafür, dass sich Volkswagen im Poker mit dem Stuttgarter Autobauer durchsetzen konnte. Oettinger machte keine glückliche Figur, weil er nicht verhindern konnte, dass Brüssel eine Klage gegen das VW-Gesetz vertagte.

Beispiel Landesbank Baden-Württemberg: EU-Wettbewerbs-Kommissarin Neelie Kroes ließ Oettinger neulich kalt abblitzen, als er ein gutes Wort für den heimischen Finanzkonzern einlegen wollte. Glaubt man dem Flurfunk, ließ ihn die Niederländerin regelrecht auflaufen – und verwies ihn zwischendrin sogar spöttisch an den EU-Sozialkommissar, falls ihm nur das Argument einfiele, dass ohne Staatshilfen Jobs bedroht seien.

Überraschend kommt die Personalie auch deshalb, weil Oettinger bisher wenig mit Brüssel am Hut hatte - zumindest weniger als sein Vorgänger Erwin Teufel, der im Europäischen Konvent und im EU-Ausschuß der Regionen wirkte. Und auch weniger als zum Beispiel Hessens Ministerpräsident Roland Koch, der häufig in Brüssel Präsenz zeigt.

Das ist auch ein Grund dafür, warum in den vergangenen Wochen zwar Koch als Favorit gehandelt worden war, ebenso wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, Wirtschafts-Staatssekretär Peter Hintze oder der Europa-Abgeordnete Elmar Brok – aber eben nicht Oettinger. Wenig verwunderlich daher, wenn die Entscheidung für Oettinger die Vermutung provoziert, für seine Berufung spielten wohl eher parteiinterne Motive eine Rolle als eine besondere europäische Ambition. So mutmaßt etwa die Opposition, die Kanzlerin ziehe mit der Brüsseler Personalie einen unglücklich agierenden Ministerpräsidenten aus dem Verkehr: Oettinger hatte in der Vergangenheit unter anderem wegen der Trennung von seiner Ehefrau und wegen einiger verunglückter öffentlicher Auftritte von sich reden gemacht. So hatte er - unter Missachtung historischer Fakten - den Früheren Ministerpräsidenten Hans Filbinger als «Gegner des Nationalsozialismus» bezeichnet.

Da Merkel ausdrücklich die wirtschaftspolitische Kompetenz Oettingers hervorgehoben hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Oettinger in der EU-Kommission um das Dossier Industrie und Unternehmen bemüht, für das auch schon Verheugen zuständig war. Aus deutscher Sicht interessant wäre aber auch die Verantwortung für Binnenmarkt oder für Energie. Das mächtige Amt des EU-Kommissars für den Wettbewerb könnte die Deutschen gewiss ebenfalls reizen. Bisher haben die EU-Kommissionschef allerdings damit keine Deutschen oder Franzosen betraut, weil sie sonst ständig gegen heimische Unternehmen vorgehen müssten.